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Die Bildung von Warteschlangen war lange der Einstieg in weitere Bildung

Wussten Sie, dass man im BZ Hieroglyphenschrift lernen kann? Ägypt`n das Sinn, habe ich mich gefragt. Sollte man in seiner Freizeit nicht lieber ein paar Biere statt Papyrus vor sich haben? Naja, vielleicht sowohl als auch, zumindest wenn man mit seinem Wissensdurst nicht hinter dem Busch hält und auch folgende Strophen ernst nimmt.

Gast Autor*in |

Bildungszentrum

Oliver Tissots lustiger Streifzug durch Affären und andere Sphären am BZ

Wussten Sie, dass man im BZ Hieroglyphenschrift lernen kann? Ägypt`n das Sinn, habe ich mich gefragt. Sollte man in seiner Freizeit nicht lieber ein paar Biere statt Papyrus vor sich haben? Naja, vielleicht sowohl als auch, zumindest wenn man mit seinem Wissensdurst nicht hinter dem Busch hält und auch folgende Strophen ernst nimmt:

“Nicht allein in Schreiben, Lesen übt sich ein vernünftig Wesen; nicht allein in Rechnungssachen soll der Mensch sich Mühe machen, sondern auch der Weisheit Lehren muss man mit Vergnügen hören.”

Das klingt doch fast wie ein Plädoyer zur Gründung von Volkshochschulen, dieser Einstieg in den vierten Streich aus Max und Moritz. Als Wilhelm Busch diese Zeilen Mitte des 19. Jahrhunderts zu Papier brachte, war bildungsmäßig einiges im Busch in Europa. Los ging es mit einem dänischen Pädagogen und Philosophen, also einem von denen Dänen, denen dehnbare Bildungsbegriffe und lebenslanges Lernen in einer „Schule des Lebens“ durch den Kopf gingen. Der Mann hieß Nikolai Frederik Severin Grundtvig. Er eröffnete 1844 in Dänemark die erste europäische Heimvolkshochschule. In Deutschland wollte gut Ding schon damals Weile haben, deswegen dauerte es im Land der Denker und Dichter länger, bis man auf den Busch klopfen konnte. Wilhelm war da schon tot, also der Zeichner, sogar Kaiser Wilhelm, der weniger ausgezeichnete, hatte abdanken müssen, bevor man 1919 in der Reichsverfassung die Förderung des Bildungswesens und explizit der Volkshochschulen erstmalig in ein Gesetz packte, damit es endlich auch die packen konnten, die als ungebildetes Pack sonst hätten einpacken müssen.
 

Hauptstadt Dänemarks Kopenhagen
1844 wurde in Dänemark die erste europäische Heimvolkshochschule eröffnet.

Der erste Nürnberger Volkshochschuldirektor Baege schien den dänischen Gründervater wortwörtlich genommen zu haben: Grundtvig. Zumindest war Grund für Baeges baldigen Rücktritt die Liebschaft mit einem Dienstmädchen aus seinem Haushalt. Der skandalösen libidinösen Fixierung wegen musste er Nürnberg Hals über Kopf verlassen. Hätte er doch statt der Liebe zum juvenilen Weibe jene zum jovialen Wissen gewählt, was übersetzt ja so viel wie „Philosophie“ bedeutet. Übrigens, das mit dem Sexskandal des ersten Direktors scheint man nie ganz bewältigt zu haben. Anfang der Dreißiger brachte eine Dozentenvereinigung gar ein „Intimes Theater“ zur Darbietung. Vielleicht hat deswegen ein Direktorennachfolger in den siebziger Jahren den Slogan „Statt ins Bett ins BZ“ kreieren lassen. Viele Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben das sicher damals schon wie heute auch ganz anders gesehen, immerhin ist das Bildungszentrum Nürnbergs größtes Eheanbahnungsinstitut. Das konnte man spätestens sehen, als orientalischer Bauchtanz für Männer angeboten wurde. Aber auch an schlauen Koryphäen mangelte es dem BZ nie. Selbst Ludwig Erhardt dozierte: „Verstand, äh, Wohlstand für alle.“
In späteren Jahren konnte man Joachim Gauck und dem Physiker Harald Lesch lauschen. Also wirklich nix Vorgegaukeltes und Lasches bei den Referenten. Als das BZ Olga Tokarczuk zu den Texttagen einlud, dämmerte es dann auch der Jury in Stockholm, dass die Frau, die so viele Tage getextet hatte, den Literaturnobelpreis bekommen muss.

Olga Tokarczuk bei den texttage.nuernberg
Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk beim Literaturfestival texttage.nuernberg / © Sebastian Herbst

Das BZ war halt immer der Zeit voraus. Beispiel gefällig? Bitteschön: Schon lange, bevor Apple Menschenaufläufe vor seinen Stores provozierte, hat das die Volkshochschule in Nürnberg so vorgemacht. Jahrelang haben sich am Ersteinschreibetag lange Schlangen vor dem Sigena-Gymnasium gebildet. Gebildet! Was will man mehr, als dass sich das Volk schon vor Kursbeginn bildet, zumindest zu einer beachtlichen Warteschlange. Sigena war übrigens ein oft gehörter Ausruf, wenn jemand Nachbarn oder Arbeitskollegen in der Schlange vor sich entdeckt hat: „SIE GEH’N A in die Volkshochschule?“ Kein Wunder, wenn sich selbst die Prominenz beim BZ die Klinke in die Hand drückt. Mal er, mal du, mal i‘. Maly gibt übrigens als Older Städtsman aktuell Einblick in seinen politischen Weitblick.

Das BZ ist ja auch was ganz Besonderes. Sieht man ja schon daran, dass man sich nicht wie andernorts VHS nennt, sondern Bildungszentrum. In den Anfangsjahren kürzte man sich auch lieber VoHo ab, weil man zwar klein, aber oho war. Mittlerweile nennt man sich sogar Bildungscampus. Obwohl man doch gar nicht mehr mangels eigener Räume kampieren muss, seitdem man in der ehemaligen Landesgewerbeanstalt Unterschlupf gefunden hat. Anstalten hätte ich dagegen gemacht, als man das Gewerbemuseum an eine Versicherung verkauft hat. Gut, eine Kommune geht bei finanziellen Fragen immer auf Nummer Sicher. Hätte man aber statt des LGA-Gebäudes nicht eh lieber das alte Schlachthofgelände beziehen sollen? Weil man als Bildungshungriger oft wie der Ochs vorm Berg steht, dort die Ochsen jetzt aber fort sind. Statt Villa Leon würde das Ding dann jetzt Ochsfort heißen. Damit hätte man Eindruck schinden können: Meine Ausbildung genoß ich in Ochsfort! Das mit dem Campus hat übrigens Direktor Eckart eingeführt, der sich als Schüler so aufgeführt hat, dass er vom Gymnasium flog. Wenn das keine bilderbuchartige Bildungskarriere ist, wenn man anfangs mangels Eifer zum Direktor zitiert und später als übereifriger Direktor selbst zitiert wird: „Ziel ist die Entwicklung kommunaler Bildungslandschaften, innerhalb derer die Bevölkerung einen breiten öffentlichen Zugang zu Lern-, Bildungs- und Kulturangeboten hat.“

Der neue Direktor heißt Zielinski. Der Name endet mit „Ski“, weil’s am Ende schnell bergab gehen kann für die, die nicht lebenslang lernen wollen, aber programmatisch wichtiger scheint, dass er mit einem „Ziel“ anfängt. Seltsam finde ich diesbezüglich den derzeitigen Slogan „Wir öffnen Welten.“ Tut sich da etwa ein Schlund auf? Es klingt zumindest geomorphologisch betrachtet nach einbrechenden Hohlräumen, Erdfällen, Subrosionen oder Senkungen, die sich da öffnen. Stehen etwa schon wieder Mittelkürzungen an? Es scheint spannend zu bleiben, wie immer in den letzten hundert Jahren. Aus Hörern machte man Teilnehmende, weil auch Unerhörtes Teil des Bildungskanons wurde. Ältere Menschen in der Altenakademie wurden zu Senioren und schließlich zu Best Agern, nicht weil man sie zum Besten halten wollte, sondern weil man merkte, dass man auch in jungen Jahren alt aussehen kann. Nürnbergs findige Volkshochschule hat auch das Planetarium unter seine Fittiche genommen, um deutlich zu machen, dass man nicht hinter dem Mond, sondern universell aufgestellt ist und nach den Sternen greifen möchte. Das BZ bildet dabei wie in einem Mikrokosmos ab, wie Gesellschaft funktioniert: Die Stadt will ein innovatives Programm, der Stadtrat weniger zahlen, die Bürger wollen keine hohen Kursgebühren, die Dozierenden mehr Honorar, die Unis in Sachen „Lernende Region“ wieder die Vorreiterstellung einnehmen, der Bildungscampus-Direktor das Gefühl haben, aufs richtige Pferd gesetzt zu haben. Dass die letzten hundert Jahre dennoch keine Hundejahre waren, ist den elf Leitern zu verdanken. Dank an Dr. Baege (1921 – 1925), dass ihm nicht bange wurde, an Dr. Brenner (1925 – 1933), dass er die Fackel hochhielt gegen Stürmer und Stänkerer, an Dr. Wieszner (1946 – 1961), dem kulturellen „Alleswieszner“, Dr. Hugelmann (1961 – 1968) für die Vorbereitung der Nürnberger Gespräche, Dr. Dreykorn (1968 – 1985) dafür, dass er nicht die Flinte ins Korn geworfen, sondern das Kursangebot verzehnfacht hat. Dank auch an Dr. Wollenberg (1985–1992), der fragte, ob man den Berg an nötiger kritischer Erinnerungskultur nicht aufarbeiten wolle, an Dr. Kett (1992 – 2002), dass er das BZ trotz Plafonierung nicht an die Kette legen ließ, an Dr. Eckart (2002 – 2016) für den Mut, mit der Erweiterung zum Campus anzuecken, Knabel (2016 – 2018), dass er nach acht Doktoren ohne Promotion pro Motion war, und zwar in Richtung Digitalisierung, Dr. Ecker (2018 – 2020) fürs Ackern in der Corona-Dürre. Mal schauen, was der Zielinski so bringt. Kleiner Tipp: „Tue, was sich in deinem Herzen richtig anfühlt, kritisiert wirst du so oder so“ (Eleanor Roosevelt). Wenn man sich also schon die Hände schmutzig macht, dann richtig. Deswegen finden Töpferkurse seit Jahrzehnten großen Anklang im BZ. Es geht dabei ja auch immerhin um den guten Ton.
Ein Wort zum Schluss: Es mag Patriarchen und Paschas ja ein müdes Lächeln entlocken, dass man Anfang der Sechziger Jahre die Zielgruppe Frau mit der Frage zu ködern versuchte „Was können Sie Ihrem Manne in der Freizeit bieten?“ Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass in den kommenden zehn Dekaden Damen als Direktorinnen ans Ruder gelassen werden. Nicht nur die Zukunft ist weiblich, sondern auch die Bildung.

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