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Wer bittet statt befiehlt, kommt schneller voran

Immer trödelst du herum!“ „Nie bringst du den Müll heraus.“ Wer kennt sie nicht, die vorwurfsvollen Sätze.

Gast Autor*in |

Bildungszentrum

Trainerin Vera Mickenbecker hilft, Konflikte zu vermeiden

Immer trödelst du herum!“ „Nie bringst du den Müll heraus.“ Wer kennt sie nicht, die vorwurfsvollen Sätze, die in vielen Beziehungen Alltag sind und einen zunächst harmlosen Konflikt schnell eskalieren lassen. Denn in ihnen stecken pauschale Aussagen und Bewertungen. Vera Mickenbecker geht sogar noch einen Schritt weiter in ihrer Analyse. „Mit Worten üben wir ständig Gewalt aus“, sagt die Nürnbergerin, die in einer Behörde für die interne Kommunikation zuständig ist und nebenberuflich Kurse gibt. „Selbst in einem Lob kann Gewalt stecken.“ Zum Beispiel dann, wenn ein Kind für sein „braves“ Verhalten gelobt werde. „Das heißt umgekehrt: Wenn ich das nicht tue, bin ich böse“, sagt Mickenbecker, die in ihren Kursen für einen komplett anderen Umgang miteinander wirbt.

 

Trainerin Vera Mickenberger
Vera Mickenberger lehrt, respektvoller zu kommunizieren. / © Kat Pfeiffer

„Gewaltfreie Kommunikation“ (GFK) heißt die Methode, die die Trainerin vor einigen Jahren für sich entdeckt hat und die sie jetzt möglichst vielen Menschen vermitteln will. Zurück geht das Konzept auf den Psychologen Marshall B. Rosenberg, der die Grundlagen in den frühen 1960er Jahren entwickelte. Es entstand aus seiner Auseinandersetzung mit der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und half dabei, die Rassentrennung in Schulen und Institutionen zu überwinden.

Später gab Rosenberg GFK-Kurse in vielen verschiedenen Ländern. Zahlreiche Organisationen arbeiten mit der Methode, die auch Vera Mickenbecker auf Anhieb überzeugte. „Mir hat das wirklich sehr geholfen“, betont die Fachfrau, die ein Jahr lang Konfliktsituationen in einer speziellen Übungsgruppe trainierte, bevor sie sich selbst zur Trainerin weiterbildete. Doch worum genau geht es bei der Gewaltfreien Kommunikation? Ziel sei eine „innere Haltung aus Respekt und Achtsamkeit“, sagt Mickenbecker, die den Begriff „wertschätzende Kommunikation“ für treffender hält, wenn es darum geht, das Konzept zu beschreiben. „GFK ist zwar eine Technik, aber die Technik ist Mittel zum Zweck.“ Ziel sei es auch nicht, Lösungen zu finden, sondern Verbindung „zwischen mir und dem anderen“ herzustellen. Deshalb stehe am Anfang auch die Kommunikation mit sich selbst: „Man versucht dabei, die eigenen Bedürfnisse herauszufinden.“

Laut Mickenbecker unterscheidet man vier Komponenten der gewaltfreien Kommunikation. Am Anfang steht die wertungsfreie Beobachtung. Also nicht „Als du heute zu faul warst, den Müll runter zu bringen…“, sondern „Wir hatten ausgemacht, dass du den Müll runterbringst. Er steht noch da.“ Das heißt, es geht darum, neutral zu beschreiben, worüber man reden will. „Sonst macht der andere gleich dicht.“ Erst im zweiten Schritt kommen die Gefühle ins Spiel. Und zwar die eigenen, „echten“ Gefühle, „die ich in meinem Körper spüre“, wie Mickenbecker betont.

Um den Unterschied klar zu machen, lässt sie in ihren Kursen die Teilnehmer Gefühle alleine vorspielen. Kein Problem sei das bei einer Emotion wie Trauer. Wenn jemand aber das scheinbare Gefühl, nicht beachtet oder „veräppelt“ zu werden, ganz allein vermitteln solle, stoße er schnell an seine Grenzen. Kein Wunder, meint die Trainerin: „Schließlich steckt in diesen Formulierungen ein Vorwurf an eine zweite Person drin.“ Man verwechsele dabei Gefühle und Gedanken. „Gefühle sind nicht schlecht oder gut, sondern weisen uns auf die Bedürfnisse hin, die gerade erfüllt oder nicht erfüllt sind.“

In einem dritten Schritt geht es deshalb darum, eben diese Bedürfnisse zu benennen. Und dann wird aus dem pauschalen Vorwurf „Du hörst mir nicht zu!“ plötzlich ein ganz anderer Satz: „Ich brauche es, von dir gehört zu werden.“ Damit wird der Weg zu einem anderen Umgang mit Konflikten frei, man kann eine Strategie entwickeln, um die Bedürfnisse beider zu befriedigen. „Der Grund für Missmut sind unerfüllte Bedürfnisse“, betont Mickenbecker.

Ganz wichtig sei es aber, die neue Erkenntnis als Bitte zu formulieren – das ist Schritt vier. „Eine Bitte ist eine Einladung“, erklärt die Kommunikationstrainerin. „Die Reaktion auf eine Forderung ist oft Widerstand.“ Wichtig: Die Bitte soll möglichst konkret sein. Nicht: „Bitte räum auf.“ Sondern: „Bitte räum bis 19 Uhr deine Sachen in den Schrank.“

Wer die vier Komponenten verinnerlicht hat, der hat laut Modell den Status der „Giraffe“ erreicht. Sie verkörpert die Prinzipien der GFK perfekt. Mickenbecker drückt es so aus: „Sie achtet auf ihre Gefühle und ist sich der dahinter liegenden Bedürfnisse bewusst. Sie respektiert die Bedürfnisse aller, übersetzt Vorwürfe und Beleidigungen in eine bedürfnisorientierte Sprache. Sie trennt Beobachtung und Bewertung.“ Ihr Gegenspieler ist der Wolf, der interpretiert, kritisiert, bewertet und Schuld gibt – auch sich selbst. „Solches Verhalten erzeugt im Normalfall Widerstand, Rechtfertigung oder Rückzug.“

Trainerin Vera Mickenberger
Es geht darum, eine Verbindung zwischen sich selbst und dem anderen herzustellen. / © Kat Pfeiffer

Doch hilft so viel Theorie wirklich im Alltag? Bei regelmäßiger Übung auf jeden Fall, glaubt die Fachfrau. Innehalten, gucken, welche Bedürfnisse bei mir oder dem anderen im Spiel sind, das könne man sehr wohl trainieren – und sich so den Umgang mit anderen privat und in der Arbeitswelt erleichtern. Denn auch dem Chef, der einen pauschal abkanzelt, könne man so ganz anders begegnen. „Und das funktioniert sogar, wenn der andere von der Methode nichts weiß.“ Von heute auf morgen klappt das natürlich nicht. Aber ein Anfang ist schon mit der Teilnahme an Mickenbeckers Kurs zur gewaltfreien Kommunikation gemacht.

Text: Silke Roennefahrt
Fotos: Kat Pfeiffer

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