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Die „Schule für alle“

Am 9. Oktober 1921 sind in der Nürnberger Innenstadt Glocken zu hören. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, würde nicht der Anlass des Glockengeläuts die Stadtgeschichte bis zum heutigen Tage prägen.

Gast Autor*in |

Bildungszentrum

...ist gleichzeitig ein Spiegelbild der Gesellschaft

Am 9. Oktober 1921 sind in der Nürnberger Innenstadt Glocken zu hören. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, würde nicht der Anlass des Glockengeläuts die Stadtgeschichte bis zum heutigen Tage prägen. Damals, drei Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, haben sich im Großen Rathaussaal anlässlich der Eröffnung der Nürnberger Volkshochschule, die zunächst im Luitpoldhaus beheimatet war, zahlreiche Festgäste versammelt. Oberbürgermeister Hermann Luppe, der der linksliberalen DDP (Deutsche Demokratische Partei) angehört, sieht seine Kommune in der Pflicht, den „in allen Menschen lebenden Drang zum Aufstieg“ durch Bildungsangebote zu unterstützen. „Die Idee der Volksbildung ist schon im 19. Jahrhundert entstanden“, erklärt Christine Sauer, die heute die Historisch- Wissenschaftliche Stadtbibliothek leitet. „Neu war allerdings, dass sich die Stadt der Aufgabe der Volksbildung annimmt.“

OB Luppe war zuvor bereits als zweiter Bürgermeister in Frankfurt am Main mit Aufgaben der Erwachsenenbildung betraut und will die Idee der „Schule für alle“ nun auch in Nürnberg etablieren. Die enge Verbindung zwischen der Person des Oberbürgermeisters und der Volkshochschule nutzt jedoch die (rechts-) konservative Presse in der Stadt, um die neue Einrichtung als Hort „sozialistischer Propaganda“ zu brandmarken. Eine Vorlage, die die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung dankbar aufnehmen. Bereits 1933 schließen sie die Volkshochschule und entlassen alle hauptamtlichen Dozenten.

Die Geschichte des Bildungszentrums
Ein Blick auf die Tafel zeigt, wie in den frühen 1960er Jahren am Spracheninstitut Deutsch unterrichtet wurde.

Nach dem Krieg steht unter dem neuen Direktor Georg Gustav Wieszner die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft im Mittelpunkt. „Es gab Kurse zur geistigen Umerziehung und zur Völkerverständigung“, sagt Bibliothekarin Sauer. „Solche Angebote wurden zunächst aber nicht gut angenommen.“ Wohl auch, weil viele die Konfrontation mit der eigenen Schuld noch scheuten. Die Räumlichkeiten der Volkshochschule befinden sich in den Nachkriegsjahren meist in Schulgebäuden, ab 1957 im heutigen Sigena-Gymnasium in der Gibitzenhofstraße.

Allmählich klopft sich die junge Bundesrepublik den Staub aus den Kleidern und erlebt einen ungeahnten Aufschwung. Es ist die Zeit des wachsenden Wohlstands, des Wirtschaftswunders und der Gastarbeiter. Die ökonomische und politische Entwicklung des Landes verändert in den 60er Jahren auch die Volkshochschule. Diese fusioniert 1965 mit dem Spracheninstitut und dem Jugendzentrum zum Bildungszentrum (BZ). Spätestens mit Paul Dreykorn, der wenig später die Leitung des BZ übernimmt, findet auch ein programmatischer Umbruch statt. Waren die Bildungsangebote bis dahin eher schöngeistiger Natur, entschließt man sich nun, die berufliche Verwertbarkeit der Lehrinhalte stärker in den Vordergrund zu rücken. „Dadurch hat man natürlich auch andere Altersstufen und neue Bevölkerungsschichten erreicht“, berichtet Sauer. So bietet das BZ beispielsweise Sprachkurse für Gastarbeiter an. In den Folgejahren steigt die Zahl der Menschen, die Kurse im BZ besuchen, deutlich an. Zählte man 1965 noch 24.000 Teilnehmer, sind es 1985, als Jörg Wollenberg die Leitung der Einrichtung übernimmt, bereits 65.000. Wollenberg verordnet dem BZ erneut eine inhaltliche Neuausrichtung. Zwar bleiben die Angebote zur beruflichen Bildung erhalten, ergänzt werden sie jedoch zunehmend durch Gespräche und Symposien, die eine umfassende und kritische Aufarbeitung der Nazizeit zum Ziel haben.

1996 zieht das BZ dann in den Bau des ehemaligen Gewerbemuseums, wo es bis heute angesiedelt ist. Der damalige Direktor Siegfried Kett will mit dem Bildungszentrum einen Beitrag zur Abfederung des Strukturwandels leisten, der sich in Nürnberg vollzieht. Viele Industrietriebe in der Stadt entlassen gegen Ende des 20. Jahrhunderts Mitarbeiter oder schließen ganz. „Nürnberg bewegte sich weg von einer reinen Arbeiterhochburg“, blickt Sauer zurück. „Im BZ gab es dann Möglichkeiten zur Umschulung und Fortbildung“. Ein Aufgabenbereich, der nicht zuletzt durch die Pleiten von AEG und Quelle auch im neuen Jahrtausend von hoher Bedeutung bleibt. Im Jahr 2011 schließen sich dann das Bildungszentrum, geführt von Wolfgang Eckart, und die Stadtbibliothek zum heutigen Bildungscampus Nürnberg (BCN) zusammen.

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