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Warum die Nazis Angst vor der Volksbildung hatten

Die Volkshochschule hat die Aufgabe, die Demokratie geistig zu unterbauen“, sagte ihr damaliger Direktor Eduard Brenner 1933 – in der letzten Hörerversammlung 1933.

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Bildungszentrum

Mit der Machtergreifung 1933 kam das vorläufige Ende der Institution

Die Volkshochschule hat die Aufgabe, die Demokratie geistig zu unterbauen“, sagte ihr damaliger Direktor Eduard Brenner 1933 – in der letzten Hörerversammlung 1933. Damit war es mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten vorbei: Als einzige Kulturinstitution in Nürnberg wurde die Volkshochschule im März 1933 geschlossen, galt sie doch als eines der wichtigsten kulturellen Projekte der Weimarer Republik und stand ohne Wenn und Aber auf Seiten der Demokratie. Sie war schon lange ein Hassobjekt der Nationalsozialisten gewesen, die durch inszenierte Skandale versucht hatten, die Arbeit der VHS zu torpedieren. So behaupteten sie wegen eines Vortrags des Dozenten Theo Malkmus über seine Reise in die Sowjetunion 1930, die Volkshochschule betreibe kommunistische Propaganda und sei ein „Tummelplatz extrem materialistischer Richtungen“.

Die Nationalsozialisten trafen dabei auf Zustimmung im rechtskonservativen Lager. Dies galt auch für einen zweiten angeblichen „Skandal“ an der Nürnberger VHS in der Weimarer Republik kurz zuvor: Die Sozialwissenschaftlerin Anna Steuerwald-Landmann hatte 1929 eine Arbeitsgemeinschaft unter dem Titel „Die Frau von heute“ angeboten und im Kurs Besuch von zwei Provokateuren bekommen. Anschließend sah sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, freie Liebe gepredigt zu haben. Das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ sprach von einem „Judensaustall“, denn die Dozentin hatte jüdische Wurzeln. Eine Befragung der Kursteilnehmerinnen ergab jedoch, dass nichts von den Vorwürfen stimmte. Stadtrat, Oberbürgermeister und fast alle demokratischen Parteien standen in solchen Konflikten immer hinter ihrer VHS.

Die jüdische Dozentin Julie Meyer
Die jüdische Dozentin Julie Meyer / © Hiltrud Häntzschel / Gaby Franger

Eine ganze Reihe von Dozentinnen und Dozenten wurden wegen ihrer Gegnerschaft zu den Nazis oder wegen ihres jüdischen Glaubens verfolgt. Anna Steuerwald-Landmann überstand den Nationalsozialismus im Exil in Chile. Die linksliberale Soziologin Julie Meyer, eine Schülerin Max Webers, entkam als Jüdin in die USA. Theo Malkmus starb im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Internationalen Brigaden, während der jüdische Dozent Rudolf Benario schon 1933 im KZ Dachau inhaftiert und dort erschossen wurde – eines der ersten Opfer des KZ Dachau. Der jüdische Kunsthistoriker Justus Bier und VHS-Dozent konnte seine wissenschaftliche Karriere in den USA fortsetzen, während der ebenfalls an der VHS tätige Schriftsteller Karl Bröger kurzzeitig in Dachau inhaftiert wurde und sich danach mit historischen Romanen durchschlug. Auch der Dozent Georg Gustav Wieszner musste trotz mehrfacher Versuche, sich bei den Nationalsozialisten anzubiedern, seine Tätigkeit bis zum Ende der NS-Zeit beenden.

Als Ersatz für die Volkshochschule gründeten die Nazis einen „Offener Bildungssaal für Deutsches Volkstum und Deutsche Kultur“, aber dessen Angebote stießen auf wenig Interesse. Das erfolglose Projekt wurde schon im März 1936 deswegen eingestellt. Der umtriebige Georg Gustav Wieszner war einer der ersten, die sich 1945 als Akteure zum Aufbau eines demokratischen kulturellen Lebens anbot. Schließlich bekam er den Auftrag, wieder eine Volkshochschule in Nürnberg aufzubauen. Die Nürnberger Volkshochschule der Nachkriegszeit war als Einrichtung der Stadt Nürnberg organisiert und nicht, wie andernorts, als Verein. Nürnberg war die einzige Stadt in Bayern, die eine Volkshochschule selbst aus kommunalen Mitteln finanzierte. Nicht im Programm haben wollte Wieszner Kurse zum Erlernen von Sprachen, da er die Volkshochschule als Zentrum der geistigen Auseinandersetzung und Diskussion sah. Basiswissen wie die Kenntnis von Sprachen sollten eigene Volksbildungskurse im Vorfeld der Volkshochschule bieten, um nicht das Programm der VHS zu belasten. Die sogenannte „realistische Wende“ zu einem Bildungszentrum,
das auch ein eigenes Spracheninstitut umfasste, kam erst im Jahr 1965, nach Wieszners Amtszeit. Wieszner blieb nach 1945 ein engagierter, sendungsbewusster Dozent, der Tonband, Schallplattenspieler und Diaprojektor nutzte. Kontroversen scheute er nicht. Als in einem Kurs über moderne Kunst die gezeigten Werke mit Gelächter kommentiert wurden, schrieb er erbost in einem offenen Brief: „Ich bitte, nachdem Nürnberg schon viele Jahre hinter der lebendigen Kunst zurückblieb, so viel Respekt vor ihr aufzubringen wie vor einer Atom- Formel, die wir ja auch nicht verstehen, aber bewundern, weil etwas daraus entstehen kann, das uns zerreißt.“ Trotz aller Fortschrittlichkeit in Kunst und Kultur zeigte sich das Frauenbild der VHS bis in die 60er Jahre antiquert. So warb sie 1961 mit einem Plakat, das eine attraktiv gekleidete junge Frau zeigte, mit dem Text: „Gut gekleidet… Aber wie steht es mit der Konversation, mit der geistigen Beweglichkeit? Was können Sie Ihrem Manne in der Freizeit bieten? Die Frau zum Kulturträger erzieht die Volkshochschule.“ Spätestens ab 1968 ließen sich junge Frauen Derartiges allerdings nicht mehr bieten.

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