Das Projekt Volkshochschule in den 1920er Jahren
Die Volkshochschule war die einzige Kultureinrichtung, die in erster Linie als Projekt der Weimarer Republik anzusehen ist.
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Die Volkshochschule war die einzige Kultureinrichtung, die in erster Linie als Projekt der Weimarer Republik anzusehen ist. Im Zusammenhang mit der Nürnberger Universitätsgründung der Handelshochschule 1920 aufgebaut und 1921 als selbstständige städtische Einrichtung eröffnet und musste 1933 ihre Pforten schließen.
Die Ansprüche an die neue Kultureinrichtung waren hoch, wie eine Zweckbestimmung der neuen Einrichtung im Verwaltungsbericht der Stadt Nürnberg zeigt:
“Die städtische Volkshochschule setzt sich zur Aufgabe, ihre Hörer durch geistige Selbstbetätigung zu eigener Urteilsbildung und geistiger Selbstständigkeit, zu geistigen Eigenleben überhaupt zu erwecken, damit sie mit Bewusstsein und Verständnis an dem kulturellen Leben ihrer Zeit im Allgemeinen und den kulturellen Aufgaben ihres Berufs und Lebenskreises im Besonderen teilnehmen können. Sie wendet sich an alle Volksschichten.”
Oberbürgermeister Hermann Luppe, der voll und ganz hinter der Volkshochschule stand, sah eine geistige Arbeitsgemeinschaft zwischen Dozent und Hörer als das erstrebenswerte Ziel an.
Der Philosoph und Pädagoge Max Hermann Baege, erster Direktor der Volkshochschule, von dem auch die oben zitierte Aufgabenbestimmung der VHS stammte, gab zur Unterstützung dieses Zeile 1924 bekannt: Auf Grund eines Beschlusses der letzten Verwaltungsratssitzung wird jede Arbeitsgemeinschaft sofort aufgelöst, in der der Dozent nur alleine spricht.
Große und hehre Ziele prägten die Programmatik der Volkshochschule in den zwanziger Jahren: Baeges Nachfolger ab Mitte der 1920er Jahre Eduard Brenner, ein Professor für angelsächsische Sprachen, betonte stark das Ziel der Gemeinschaft in einer Zeit, die vielen als zerrissen erschien.
Volksbildung sollte nichts weniger sein als „Volkbildung“, die der Dozent durch ein entsprechend überzeugendes, fast schon autoritäres Auftreten erreichen sollte: Streng, mit harter Hand, in leidenschaftlichem Kampf gegen Oberflächlichkeit und Unechtheit sammelt der Volkformer dieses Miniaturvolk immer und immer wieder jeden Abend neu, sammelt sie aus den Straßen der Unordnung auf den Weg der Disziplin, um sie dem Raum des Volkes entgegenzuführen. Bis sie endlich selbst schreiten können, unverändert und doch anders, nicht in Reih und Glied, aber doch voll Ordnung, alle verschieden und doch eins, mit vielen Inhalten und einer Form.
Sowohl Baeges als auch Brenners Ziel war es, bildungsferne Schichten und insbesondere die Arbeiterschaft mit der Volksbildungsarbeit anzusprechen. Besonders deutlich formulierte dies Brenner in einem für die Fränkische Tagespost verfassten Zeitungsartikel, in dem er jedoch auch feststellte: Der Name Volkshochschule hat nur dann einen Sinn, wenn das gesamte Volk an ihrer Entwicklung teilnimmt.
Die Nürnberger Volkshochschule lag mit ihren theoretischen Ansätzen nahe an den Vorstellungen des Hohenrother Bundes, eines einflussreichen Kreises von Engagierten in der Volksbildungsbewegung, die überregional die sogenannte Neue Richtung der Volksbildung vertraten.
Eine demokratische Elite – die Dozenten und Dozentinnen an der Volkshochschule
Viele bekannte Persönlichkeiten des kulturellen und politischen Lebens waren auch als Dozenten an der Volkshochschule tätig – sogar Oberbürgermeister Hermann Luppe. Der Schriftsteller Karl Bröger, der Direktor des Stadtarchivs Emil Reicke, der Direktor der Stadtbibliothek Friedrich Bock und einige andere leitende Mitarbeiter der Stadtverwaltung machten Angebote an der Volkshochschule. Karl Bröger ist eine Ausnahmeerscheinung auch an der Volkshochschule. Er hatte keine universitäre Ausbildung und kam als einer der wenigen Dozenten aus der Arbeiterschaft. Sein großes Engagement an der VHS zeigt sich daran, dass er zwischen 1921 und 1929 nahezu in jedem Trimester vorzugsweise Arbeitsgemeinschaften unter starker Beteiligung der Hörer und meist zu aktueller Literatur anbot. Mit sechzig bis siebzig Prozent war der Anteil von Dozenten und Dozentinnen des Lehrkörpers der Volkshochschule mit einem universitären Doktortitel sehr hoch. Allerdings gab es unter den Dozenten und Dozentinnen daneben auch eine große „Vielfalt an beruflichen Hintergründen
Der vergleichsweise hohe Anteil von Frauen, die Vorträge und Arbeitsgemeinschaften an der VHS anboten, ist auffällig, auch wenn er weit entfernt von einer paritätischen Beteiligung von Frauen war. Die Soziologin Julie Meyer, eine Schülerin Max Webers, und die Soziologin Anna Steuerwald-Landmann griffen gesellschaftspolitische Themen sowie die Frage der Rolle der Frau auf. Die Philosophiedozentin Elisabeth Hoffart und die Tanzpädagogin Hertha Meisenbach, die eine eigene Tanzschule in Nürnberg betrieb, waren ebenfalls Dozentinnen an der VHS.
Auch auf dem Gebiet von Kunst und Kultur waren prominente Vertreter der Nürnberger Kulturszene an der Volkshochschule aktiv. Der Kunsthistoriker Justus Bier vertrat klassische kunstgeschichtliche Themen, bot aber auch Kurse zu zeitgenössischer Kunst und Architektur an. Der auffälligste Dozent auf dem Gebiet zeitgenössischer Kultur war Georg Gustav Wieszner, der seinem Spitznamen „Dr. Alleswiessner“ insofern gerecht wurde, als er mit großem Sendungsbewusstsein ein umfassendes Themengebiet von Literatur, über bildende Kunst bis hin zum Theater abdeckte.
Wieszner gründete an der Volkshochschule auch eine Theatergemeinde, die sich intensiv auch mit zeitgenössischen Theaterstücken auseinandersetzte und auch eigene Vorstellungen im Intimen Theater organisierte. Für die Veranstaltungen der Theatergemeinde erschienen Programmzettel und Plakate, welche Lily Wieszner-Zilcher, die Ehefrau Georg Gustav Wieszners, in einer vergleichsweise modernen Typografie gestaltete. Lily Wieszner-Zilcher hatte auch das Logo der Volkshochschule, ein aus Balken zusammengesetztes Adlerwappen, entwickelt. Ein Einfluss des Bauhauses ist hier spürbar. Georg Gustav Wieszner konnte als Einziger in der Nürnberger Kulturszene einen engeren Kontakt zum Bauhaus aufbauen. Von einem Vortrag Wieszners 1929 am Dessauer Bauhaus sind Notizen von Wassili Kandinsky überliefert. So kamen die Bauhauskünstler Ludwig Hirschfeld-Mack und Laszlo Moholy-Nagy jeweils zu Veranstaltungen der Volkshochschule nach Nürnberg und präsentierten die Farbenspiele der Bauhausbühne und einen Vortrag zu Fotografie und Film, der durch Filmvorführungen ergänzt wurde.
Mit dem Literaturwissenschaftler Theo Malkmus und dem Staatswissenschaftler Rudolf Benario, 1933 eines der ersten Todesopfer des KZ Dachau, vertraten zwei der politischen Linken nahestehende Dozenten in der Volkshochschule gesellschaftspolitische Themen. Trotz einiger solcher auffälliger und ungewöhnlicher Persönlichkeiten unter den Lehrkräften war insgesamt aber nicht unbedingt Revolutionäres oder vorrangig kulturell Avantgardistisches im Angebot der Volkshochschule zu erwarten.
Wenige Arbeiter und Arbeiterinnen – die Hörerschaft an der Volkshochschule
Die unrealistisch hohen Zielsetzungen, welche die Protagonisten der Volkshochschulbewegung mit ihrer Arbeit verbanden, wurden nur ansatzweise erreicht: Nur etwa ein Prozent der Nürnberger Bevölkerung nutzte das Angebot der Nürnberger Volkshochschule – eine „Volkbildung“ im Sinne Eduard Brenners war so wohl kaum zu erreichen. Man kann es aber auch als einen Erfolg verbuchen, wenn in manchen Jahren sich bis zu 10.000 Menschen, im Lehrjahr 1927/28 sogar über 13.000 Menschen für Kursen und Arbeitsgemeinschaften der Volkshochschule einschrieben.
Im Vergleich zur Bevölkerungsstruktur Nürnbergs insgesamt war der Anteil der Arbeiter unter den Volkshochschulbesuchern wesentlich geringer: Während in Nürnberg 1925 unter der Gesamtbevölkerung 44,4 Prozent Arbeiter waren, lag ihr Anteil an den Volkshochschulbesuchern bei nur 20 Prozent. Allerdings liegen derartige Statistiken zu anderen Kulturinstitutionen nicht vor, so dass die Frage, ob die VHS nicht trotzdem im Vergleich etwa zur Kunstgalerie oder gar dem Opernhaus vergleichsweise viele Arbeiter und Arbeiterinnen erreicht hat, nicht abschließend beantwortet werden kann. Ein eindrückliches Beispiel, welch hohen Wert die Weiterbildung in der Volkshochschule bei Arbeitern haben konnte, liefert der Nürnberger Metallarbeiter und spätere Gewerkschaftsfunktionär Otto Kraus. Für ihn eröffneten die Kurse der Volkshochschule eine neue Welt, die ihn nachhaltig prägte. Besonders hoch war mit fast 50 Prozent der Anteil der Angestellten und Beamten bei den Besuchern der Volkshochschule.Damit war die Volkshochschule, mehr als es ihren Protagonisten lieb sein konnte, eine auch sehr bürgerliche Bildungseinrichtung.
Höhepunkte, Kontroversen und Skandale in der Nürnberger Volkshochschularbeit
Eine große Leistung der Volkshochschule war es, dass sie sich zu einer wichtigen Plattform für kulturelle und aktuelle gesellschaftspolitische Diskussionen in Nürnberg entwickelte. Im Umfeld der Volkshochschule vor allem der Verein der Freunde der Volkshochschule, die Chor- und Musikgemeinschaft, der Sprechchor und der Bewegungschor wichtig. Der Verein der Freunde der Volkshochschule verantwortete unter anderem die wichtige Vortragsreiche „Umstrittene Probleme“. Im Nürnberger Rathaussaal sprachen unter anderem Max Martersteig (Generalintendant der Bühnen in Köln), Laszlo Moholy-Nagy, Wassily Kandinsky, Ludwig Hirschfeld Mack und Hannes Meyer (allesamt Künstler am Bauhaus), Ernst May (Stadtbaurat in Frankfurt am Main) und Erwin Piscator (Theaterregisseur in Berlin) und andere mehr. Im Jahr 1932 gelang es dem Verein sogar, den Literaturnobelpreisträger Thomas Mann zu einem Vortrag nach Nürnberg zu holen.
Eigene kulturelle Beiträge, zunächst vor allem für die Feiern der Volkshochschule zu Beginn und Schluss des Lehrjahrs, lieferten die Musik- und die Chorgemeinschaft der Volkshochschule, sowie der Sprech- und Bewegungschor – alles typische Kinder ihrer Zeit, aber auch schon ein frühes Beispiel einer „Kultur für Alle“.
Wegen ihres modernen und auch politische Diskurse nicht scheuenden Ansatz wurde die VHS von Rechts heftig angegriffen: Sie sei ein Tummelplatz extrem materialistischer Richtungen und betreibe kommunistische Propaganda. Die Sozialwissenschaftlerin Anna Steuerwals-Landmann hatte 1929 eine Arbeitsgemeinschaft unter dem Titel „Die Frau von heute“ angeboten, Besuch im Kurs von zwei Provokateuren bekommen und sah sich schließlich dem Vorwurf ausgesetzt, es sei freie Liebe gepredigt worden – für Streichers Hetzblatt Der Stürmer ein „Judensaustall“. Die Dozentin hatte jüdische Wurzeln. Stadtrat, Oberbürgermeister und alle demokratischen Parteien standen jedoch auch in solchen Konflikten immer hinter ihrer VHS.
Ein Fazit – große Ziele, großes Herz und ein mutiges Scheitern
Auch wenn die Volkshochschule sicherlich nicht alle ihre Ziele erreichen konnte, so war sie dennoch eine wichtige Kultur- und Bildungsinstitution, die zu einer Weiterentwicklung des kulturellen Lebens in Nürnberg beigetragen hat. Sie war auch wichtig für die politische Debattenkultur in der Stadt und hat vielfach Themen und Personen nach Nürnberg gebracht, die aktuelle Probleme und kulturelle Praktiken aufgriffen.
Es ist bezeichnend, dass die Volkshochschule Nürnberg als einzige Kulturinstitution der Weimarer Republik nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten geschlossen wurde. Sie war eindeutig auf Seiten des Weimarer Staats und vertrat keine parteipolitische, aber eine eindeutige politische Haltung zugunsten der Weimarer Demokratie. Noch in der letzten Hörerversammlung formulierte dies der Direktor der Volkshochschule Eduard Brenner: Die Volkshochschule hat die Aufgabe, die Demokratie geistig zu unterbauen. Damit war es ab 1933 zunächst vorbei.
Dass die Volkshochschule ihre großen Ziele nur sehr eingeschränkt erreicht hat, ändert wenig an einem positiven Gesamturteil. Sie hat es wenigstens versucht und dabei Mut, Engagement und auch Beharrlichkeit bewiesen.
Man wünscht dem Bildungszentrum hundert Jahre später einen solchen Mut, den Mut, auch größer zu denken und sich einzumischen.
Text: Dr. Alexander Schmidt, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände