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In 50 Jahren nutzten 5000 Menschen ihre zweite Chance

Der große Tag: Ende Juli wurden zum 50. Mal die Zeugnisse über einen qualifizierenden Abschluss der Mittelschule an Absolventinnen und Absolventen übergeben, die sich am Bildungszentrum (BZ) im Bereich „Zweite Chance“ auf die Abschlussprüfung vorbereitet hatten.

Gast Autor*in |

Bildungszentrum

Zwei erfolgreiche Absolventen führen heute andere zum Quali

Der große Tag: Ende Juli wurden zum 50. Mal die Zeugnisse über einen qualifizierenden Abschluss der Mittelschule an Absolventinnen und Absolventen übergeben, die sich am Bildungszentrum (BZ) im Bereich „Zweite Chance“ auf die Abschlussprüfung vorbereitet hatten. Seit 1971 haben junge Menschen die Möglichkeit, am BZ den so genannten Quali zu erlangen. Rund 5000 Personen nahmen seitdem an dem Kursprogramm teil und das meist mit Erfolg – in diesem Schuljahr sogar mehr denn je.

Anstatt der ansonsten rund 75 Prozent bestanden in diesem Jahr sogar 87 Prozent der Teilnehmenden des Online-Unterrichts den Abschluss. Hier beispielhaft die Biografien zweier früherer Teilnehmer, die später als „alte Bekannte“ in neuer Rolle zurückkehrten zum BZ: als Dozenten von Quali-Kursen. Zwei Männer, zwei Berufslaufbahnen – und beide hatten als Zwischenetappen den Quali und viel später eine Dozententätigkeit beim BZ Nürnberg. Dabei könnten ihre Lebensgeschichten unterschiedlicher nicht aussehen.

Nachzuholende Schulabschlüsse am BZ
Stolze Teilnehmer des Quali-Kurses bei der Zeugnisvergabe / © Kat Pfeiffer

Da ist Nexhmedin Nerda, genannt Nesch, heute 38, zugewanderter Kosovo-Albaner. Auf der Hauptschule schaffte der Jugendliche damals den Abschluss nicht – über der Familie hing das Damoklesschwert der Abschiebung. Nesch erzählt von damals: „Ich weiß noch, dass wir im August bei Verwandten übernachtet haben, aus Angst, dass die Polizei uns holt.“ Zum Glück verbesserte der deutsche Staat nach und nach die Bleibeperspektiven für Kosovo-Albaner wie Nesch.

  • keyboard-arrow-rightSchritt eins: Vor genau 20 Jahren schaffte er am BZ den Quali und war glücklich. Doch gleich stellte sich die nächste Frage: die nach dem Beruf. Die Arbeitsagentur ließ ihm nur die Wahl zwischen bei Deutschen wenig beliebten Berufen wie Bäckerei- und Metzgereifachverkäufer. Letzteren wählte er wohl oder übel, als Kind wäre er am liebsten Polizist geworden.
  • keyboard-arrow-rightSchritt zwei: Eine Lehrstelle war schnell gefunden. „Es war für mich ein Geschenk des Himmels. Und mit der Gewissheit des sicheren Aufenthaltsstatus war ich hochmotiviert.“ Das zeigt sich auch in den Noten. Er schnitt als Drittbester seines Jahrgangs bei der Prüfung ab, damit kam er sogar in die Zeitung, erzählt er. Das stachelte seinen Ehrgeiz noch weiter an.
  • keyboard-arrow-rightSchritt drei: das Abendgymnasium. Voraussetzung waren gute Englischkenntnisse. Die fehlten ihm. Um die Lücke zu füllen, fand sich eine hilfsbereite pensionierte Lehrerin, die ihm kostenlos Englisch-Nachhilfe gab. Sein Abitur machte Nesch 2011 – mit Note eins in Englisch. Nebenher hieß es vormittags Jobben, damit Geld hereinkam. Wie er das alles gleichzeitig geschafft hat? Nesch: „Ich war jung, motiviert, energiegeladen und beseelt von dem Ziel, Deutschland etwas zurückzugeben.“
  • keyboard-arrow-rightSchritt vier: Studium an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Erlangen-Nürnberg, Lehramt Mittelschule, Hauptfach Sozialkunde. Daneben begann er, am BZ Kurse für den Quali zu geben. „Die Dozententätigkeit hat mir sehr viel Freude bereitet“, berichtet der Vater von drei Kindern. „Viele Jugendliche hatten einen Migrationshintergrund so wie ich selbst. Als Vorbild konnte ich ihnen zeigen, dass sich Bildung immer auszahlt, egal woher man kommt. Und dass Deutschland jedem alle Chancen gibt, der sich integriert.“

Von einem Leben mit vielen Zickzack-Bewegungen erzählt auch Benjamin Hetebrüg, heue 45 Jahre alt. Im Nachhinein kommt es ihm wie ein kleines Wunder vor, dass er als verbeamteter Mittelschullehrer angekommen ist in seinem Beruf, der ihm auch Berufung ist. Denn: „Ich hatte einen kuriosen schulischen Werdegang mit einigen Abbrüchen und Krisen.“
Den Quali am BZ hatte er einst verbockt. Erst an einem Internat schaffte er ihn. Es folgte eine abgebrochene Lehre, begleitet von einem familiären Schicksalsschlag. Bevor ihm die Bildung größte Triebkraft wurde, verdiente er als Selbstständiger sein Geld: im Marketing und als Trainer von Verkaufspersonal in Elektronikmärkten. „Ich habe gut verdient, blieb aber immer auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, nach meinem Weg.“ Studieren, ja, das war’s. Berufsbegleitend machte Hetebrüg 2011 sein Abitur („Das war ein Meilenstein“). Und weil sein Musiklehrer am Gymnasium so uninspiriert unterrichtete, keimte in ihm die Idee auf, es als Lehrer besser zu machen, denn Hetebrüg spielt selbst Gitarre. Parallel zum Studium in den Hauptfächern Geografie, Musik und Arbeit/Wirtschaft/Technik lehrte er in Quali-Kursen am BZ, bis zu zwölf Wochenstunden. „Meine Dozententätigkeit war die perfekte Vorbereitung für das Lehramt“, erklärt er und schwärmt von der „tollen Atmosphäre am BZ“. Rückblickend sagt er: „Mit 15 Jahren habe ich als Quali-Schüler am BZ angefangen und mit 30 Jahren landete ich dort als Dozent. Das zeigt doch: Es ist nie zu spät, das Lernen zu lernen und seine Berufung zu finden.“

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