7 Fragen an Raoul Schrott
Mit ihrer ungeheuren Einbildungskraft haben die Menschen in den Sternen ihre ältesten Kunstwerke geschaffen und dadurch ihre Kulturen dargestellt.
Klaus Herzig |
In seinem voluminösen „Atlas der Sternenhimmel“ hat der Autor Raoul Schrott 17 Sternenhimmel von allen Kontinenten zusammengetragen: von den alten Ägyptern bis zu den australischen Aborigines, aus China, Indien und Tahiti, von den Inuit, Buschleuten und den Tuareg. Die dazu erzählten, hier ebenfalls erstmals gesammelten Sternsagen, erklären ihre Bedeutung. Unser Großer Wagen war für die Maya ein göttlicher Papagei, für die Inka der einbeinige Gott des Gewitters, für die Inuit ein Elch, für die Araber eine Totenbahre. Raoul Schrott fügt diese Sternsagen zu einem einzigartigen Epos der Menschheitsgeschichte und erzählt von ihnen an einem ganz besonders passenden Ort – dem Planetarium Nürnberg. Seine Buchvorstellung findet am Freitag, 24.10.2025, um 19 Uhr statt. Eintrittskarten zu 15 €, ermäßigt 10 €, sind unter der Kurs Nr. 00850.

Wir haben Raoul Schrott einige Fragen zu seinem in vielfacher Hinsicht außerordentlichen Buchprojekt gestellt:
Was sind die Sternenhimmel der Menschheit?
Die UNESCO hat sie zum ungreifbaren Kulturerbe der Menschheit erklärt, ohne dass sie bislang jemals umfassend dokumentiert worden sind. Entstanden in einer Zeit vor der Schrift haben einzelne Kulturen mittels ihrer kollektiven Einbildungskraft darin ihre ältesten Kunstwerke entworfen. Die Sternbilder zeichnen die Figuren, die für die jeweilige Gemeinschaft ebenso zentral waren wie das Deckengemälde der Sixtinischen Kapelle für das Christentum. Sodass sich kategorisch sagen lässt: Eine Kultur versteht erst, wer auch ihren Sternenhimmel kennt.
Was haben sie mit den Schöpfungsmythen der Welt zu tun?
Der Sternenhimmel ist für die Kulturen ein Bilderbuch der Nacht, indem ihre Urahnen von Mensch und Tier dargestellt werden, die Schöpferwesen, Götter, Helden und wichtigsten Objekte. Die dazu erzählten, hier ebenfalls erstmals gesammelten Sternsagen, erklären ihre Bedeutung. Die Schöpfungsmythen sind dabei zentral: sie schildern, wie Himmel und Erde samt den Gestirnen entstanden und wie die ersten Wesen der Welt in den Himmel gelangten, um sich seitdem in den Sternbildern zu zeigen. Die Zusammenschau von Sternbildern, Sternsagen und Schöpfungsmythen bringt so ein großes, aber völlig in Vergessenheit geratenes Stück Menschheitsgeschichte wieder zum Vorschein.
Wie viele Sternenhimmel gibt es?
Nicht jede Kultur hat Sternenhimmel entworfen –und viele lassen sich aufgrund der Informationslage heute gar nicht mehr rekonstruieren. Mit den 17 hier dokumentierten Sternenhimmeln kommt man jedoch einmal rund um die Welt und erfasst dabei die prominentesten Kulturen.
Welche Bedeutung haben die verschiedenen Sternenhimmel?
Sie definieren mit ihren Sternbildern eine Kultur und die Rolle jedes einzelnen darin wie durch ein Bild-Lexikon. Dazu hatten sie eminent praktische Funktion. Die Sternbilder bildeten den ersten Kalender, mit dem Jäger und Sammler bestimmen konnten, wann welche Beute gejagt und welche Früchte gesammelt werden konnten. Mit der Sesshaftigkeit nahm diese Bedeutung noch einmal zu, die Aufgänge einzelner Sternbilder markierten die Wochen, in denen ein Feld vorzubereiten, zu pflügen, zu besäen, zu bewässern war. Ohne sie wäre keine Landwirtschaft möglich gewesen –und ohne sie wiederum gäbe es keine Städte, Tempel, Schrift, Herrschaftsstrukturen, keine Zivilisation. Zudem waren sie immens wichtig für die Navigation und Seefahrt: ohne Sternbilder hätte die Besiedlung des Pazifiks nicht erfolgen können. Und nicht zuletzt haben wir den Sternbildern die ersten systematischen Beobachtungen des Himmels und die Astrologie zu verdanken –als dem ersten wissenschaftlichen Ansatz der Menschheitsgeschichte.
Wie alt sind die Sternenhimmel?
Manche Sternenhimmel –in der Arktis, in Mittelamerika, den Anden, Brasilien, Indonesien oder Australien –sind bei den indigenen Kulturen noch heute relevant. Sie sind mindestens mehrere Jahrtausende alt, bei australischen Aborigines sogar Jahrzehntausende. Wie die Übereinstimmungen der Sternenhimmel weltweit –trotz ihrer großen Unterschiedlichkeiten –verraten, scheinen sie alle eine gemeinsame Wurzel aufzuweisen, die wohl auf den Homo sapiens zurückgeht, als er aus Ostafrika wanderte, um die Welt zu besiedeln.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Als ich entdeckte, dass die Ägypter völlig andere Sternbilder hatten als die unseren. Danach machte ich mich auf die Suche nach den Bildern, die andere Kulturen in den immer gleichen willkürlich verstreuten Lichtpunkten der Nacht sahen. Es kommt darin derart viel poetische Kraft und Phantasie zum Vorschein, dass einem dies fast wieder den Glauben an das Schöne und Gute im Menschen zurückgibt.
Auf welche Quellen konnten Sie zurückgreifen?
Es hat einen einfachen Grund, weshalb bisher noch niemand die Sternenhimmel umfassend dokumentiert hat: die Quellen sind so verstreut, dass es eine eigene Forschungsreise war, sie ausfindig zu machen: in Berichten von Missionaren, Ethnologen oder Reisenden vor zweihundert Jahren, auf uralten Monumenten oder indigenen Texten und Zeichnungen, Felsmalereien. Schon die Suche danach war ein Abenteuer.
Fotonachweise:
Hanser-Verlag, Porträt (c)_Christoph Greussing