Über das Hin und Her mit den Uhren
Am 29. Oktober endet die Sommerzeit. Aber sollte die Zeitumstellung denn nicht eigentlich abgeschafft werden?
Klaus Herzig |
Zwei Mal im Jahr wird an der Uhr gedreht und Umfragen zufolge wissen auch nach Jahrzehnten Sommerzeit viele Menschen nicht, ob vor oder zurück. Die EU hat schon vor Jahren beschlossen, es den Mitgliedsstaaten freizustellen, ob sie weiterhin an der Zeitumstellung festhalten wollen. Aber die haben angesichts der Zeitenwende derzeit anderes im Kopf. Beschäftigen wir uns doch ein wenig mit den Fragen rund um die Sommerzeit.
Zunächst sollten wir die Begrifflichkeiten festzurren. Denn mit „Tag“ meinen wir zwei ganz unterschiedliche Dinge. Einmal den 24-Stunden-Zyklus zwischen zwei Sonnenhöchstständen. Und dann auch noch die Zeit in diesen 24 Stunden, in denen es hell ist – Tag im Gegensatz zu Nacht. Ein Tag hat daher immer 24 Stunden, der Tag aber ist in Abhängigkeit vom Datum unterschiedlich lang.
Jetzt müssen wir den Begriff der Ortszeit einführen. Wenn die Sonne auf ihrer Bahn über den Himmel den höchsten Punkt (den Zenit) erreicht und genau im Süden steht, ist es per Definition 12 Uhr mittags. Bis zum nächsten Sonnenhöchststand sind es dann ebenfalls per Definition 24 Stunden. Der Zeitpunkt des Mittags wandert also zusammen mit der Erddrehung von Ost nach West. Wenn also die Sonne in Nürnberg schon den Zenit erreicht hat, steht sie in Fürth erst kurz davor.
In früheren Zeiten, als präzise Uhren noch nicht weit verbreitet waren, hat man sich mit Hilfe von Sonnenuhren tatsächlich immer auf die lokale Ortszeit bezogen. Spätestens mit dem Zeitalter der Eisenbahn wurde das aber unpraktisch. Jetzt legten die Passagiere ja längere Strecken zurück und mussten dann am Zielbahnhof immer die Uhren verstellen – zurück bei Fahrten nach Westen, vor bei Fahrten nach Osten.
Am 1. November 1884 wurde auf der Internationalen Meridiankonferenz in Washington, D.C., beschlossen, den Nullmeridian (den nullten Längengrad) durch Greenwich, London, zu ziehen. Diese Entscheidung führte zur Einführung der Greenwich Mean Time (GMT) als Standardzeit. Daneben wurden Zonen mit je 15 Grad Längenunterschied geschaffen. In jeder dieser Zone galt dann eine einheitliche Zeit, Zonenzeit oder auch soziale Zeit genannt, unabhängig vom tatsächlichen Stand der Sonne. Pro 15 Grad unterschied sich die Zeit jeweils um eine Stunde von der GMT, d. h. Orte mit 1 Grad Längenunterschied liegen 4 Minuten auseinander. Die deutsche Zeitzone, die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) reicht somit von 0 Grad bis 15 Grad östlicher Länge, was ziemlich genau der Länge von Görlitz entspricht.
Auf den üblichen Erddarstellungen in Mercator-Projektion sehen die Zeitzonen wie Streifen aus. Wenn man sich aber einen Globus ansieht, bemerkt man, dass es eigentlich Dreiecke sind, die sich jeweils vom Äquator ausgehend zu den Polen verjüngen. Bewegt man sich also längs des Äquators, muss man 1.667 km zurücklegen, bis die Uhr um eine Stunde verstellt werden muss. Auf der Höhe von Reykjavik sind es dann nur noch 728 km.

Derzeit gibt es in der EU drei Standardzeitzonen: Westeuropäische Zeit, das entspricht der GMT (Irland, Portugal), Mitteleuropäische Zeit (17 Mitgliedstaaten) und Osteuropäische Zeit (Bulgarien, Zypern, Estland, Finnland, Griechenland, Lettland, Litauen und Rumänien).
Deutschland liegt größtenteils (mit Ausnahme des westlichen Randes) in der geographisch korrekten Zeitzone. Die Abweichung der sozialen Zeit von der richtigen Tageszeit ist demnach verträglich. Wenn es in Deutschland 12 Uhr Mittag schlägt, ist es am Ostrand von Deutschland nach Sonnenzeit ca. 11:55 Uhr und am Westrand ca. 11:30 Uhr.
Die Länder Spanien, Frankreich und die Beneluxländer leben jedoch nicht in der geographisch richtigen Zeitzone. Sie haben daher eine enorme Abweichung ihrer sozialen Zeit von der Sonnenzeit, am extremsten in Galizien (Nord-West-Spanien): Um 12 Uhr Mittag nach sozialer Zeit ist es bei ihnen nach Sonnenzeit erst 10:30 Uhr. Nicht umsonst sind die Spanier dafür bekannt, spät zu essen. Nach lokaler Sonnenzeit essen sie aber im Grunde nicht später als die Deutschen. Auch Portugal liegt zu größten Teilen nicht mehr in der richtigen Zeitzone. Schlägt die Uhr 12 Uhr Mittag, ist es an der Westküste (höchste Bevölkerungsdichte) nach Sonnenzeit erst ca. 11:25 Uhr.
Sommerzeit bedeutet nun nichts weiter, als für die Uhrzeit eine Zeitzone weiter im Osten anzunehmen. Deutschland lebt in der Sommerzeit also nach osteuropäischer Zeit. Läutet die Mittagsglocke um 12 Uhr, ist es im Osten von Deutschland nach lokaler Sonnenzeit erst 10:55 Uhr und im Westen sogar erst 10:30 Uhr. Noch dramatischer ist die Diskrepanz zwischen sozialer Zeit und realer Tageszeit in den westeuropäischen Ländern. In Galizien ist es während der Sommerzeit nach Sonnenuhr erst 9:30 Uhr, wenn die offizielle Uhrzeit 12 Uhr Mittag ist. Im Westen von Portugal bedeutet Sommerzeit um 10:25 Uhr Mittag zu essen, obwohl die Uhr 12 Uhr zeigt.
Da wir aber, im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten, unseren Tagesablauf nicht mehr nach Sonnenauf- und -untergang ausrichten, sondern nach der Uhrzeit des Weckers, fällt uns das in der Regel gar nicht so auf. Unser Leben hat sich immer mehr in Richtung Abend verlagert, was dazu führt, dass uns die Sommerzeit längere helle Abend beschert. Bei einer Beibehaltung der Sommerzeit auch für die Wintermonate würde sich das aber ins Gegenteil verkehren. denn wie oben ausgeführt, heißt Sommerzeit ja nichts Anderes, als dass wir die Uhrzeit einer falschen nämlich der weiter östlich gelegenen, benutzen. Das bedeutet, dass es dann im Winter eine Stunde später (gemessen an der Uhrzeit) später hell wird. Nun liegt Deutschland eigentlich mit einer Abweichung von realer Zeit zu offizieller Zeit von maximal 30 Minuten aber noch ganz gut. Wie ober gesagt, wäre das in Ländern wie Spanien oder Portugal aber viel dramatischer.
Nun hängt der lokale Auf- und Untergang der Sonne aber nicht nur von der geographischen Länge eines Orts ab, sondern auch von der geographischen Breite. Die Tageslänge kann so dramatisch variieren. Am Äquator geht das ganze Jahr über die Sonne um 6 Uhr lokale Ortszeit auf und um 18 Uhr unter. (Wobei das streng genommen nur für eine punktförmige Sonne bzw. den Sonnenmittelpunkt gilt. Wir kommen weiter unten darauf zurück.) Der Tag dauert immer 12 Stunden, die Nacht ebenfalls und es ist somit nichts mit lauschigen hellen Sommernächten. Ganz anders direkt an den Polen: Hier ist es im Sommer jeweils ein halber Jahr Tag und durchgehend hell. Die Sonne geht nie unter, sondern berührt nur den Horizont. Zwischen diesen beiden Extremen schwankt die Tageslänge.

Schauen wir uns die Auswirkungen von Länge und Breite für Deutschland an und zwar für die jeweils nördlichsten, östlichsten, südlichsten und westlichsten Orte der Republik. Das sind:
- List auf Sylt im Norden: Koordinaten: 55° 1′ N, 8° 26′ O
- Oberstdorf im Allgäu im Süden: Koordinaten: 47° 25′ N, 10° 17′ O
- Görlitz an der Neiße im Osten: Koordinaten: 51° 9′ N, 14° 59′ O
- Selfkant im Maastal im Westen: Koordinaten: 51° 1′ N, 5° 55′ O
Die Tabelle zeigt für diese Orte die Tagesdauern und Sonnenauf- und –untergänge im Vergleich für die Tage der Jahreszeitenwechsel, also für die Frühlings- und Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche sowie die Sommer- und Wintersonnenwende. Außerdem aufgeführt sind die Daten für Nürnberg sowie für Palma auf der beliebten Urlaubsinsel Mallorca, denn viele schwärmen ja davon, wie lang und schön die Sommertage dort sind:
Nürnberg: Koordinaten: 49° 27′ N, 11° 5′ O
Palma de Mallorca: Koordinaten: 39° 34′ N, 2° 39′ O (eigentlich WEZ, hat aber MEZ)
Palma müsste eigentlich eine Zeitzone westlicher liegen, d. h. alle Uhrzeiten gelten eigentlich eine Stunde früher.
Die folgenden Daten basieren auf Angaben der US Navy unter aa.usno.navy.mil/data/RS_OneYear
Sortiert von Norden nach Süden:
Sonnenauf-und -untergang | List | Görlitz | Selfkant | Nürnberg | Oberstdorf | Palma |
20.03. (MEZ bzw. WEZ) | 06:30 – 18:39 | 06:04 – 18:12 | 06:40 – 18:49 | 06:19 – 18:28 | 06:23 – 18:31 | 06:54 – 19:01 |
21.06. (MESZ bzw. WESZ) | 04:47 – 22:09 | 04:45 – 21:19 | 05:22 – 21:55 | 05.09 – 21:26 | 05:22 – 21:19 | 06:22 – 21:20 |
23.09. (MESZ bzw. WESZ) | 07:13 – 19:23 | 06:47 – 18:57 | 07:23 – 19:33 | 07:03 – 19:12 | 07:06 – 19:15 | 07:38 – 19:46 |
21.12. (MEZ bzw. WEZ) | 08:49 – 15:59 | 08:01 – 15:55 | 08:37 – 16:32 | 08:09 – 16:18 | 08:03 – 16:30 | 08:06 – 17:28 |
Tageslänge |
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20.03. | 12:09 | 12:08 | 12:09 | 12:09 | 12:08 | 12:07 |
21.06. | 17:22 | 16:34 | 16:33 | 16:17 | 15:57 | 14:58 |
23.09. | 12:10 | 12:10 | 12:10 | 12:09 | 12:09 | 12:08 |
21.12. | 7:10 | 7:54 | 7:55 | 8:09 | 8:27 | 9:22 |
Betrachten wir zunächst die Tageslänge. Bei den Tag- und Nachtgleichen sollte sie eigentlich genau 12 Stunden betragen. Das würde aber nur gelten, wenn die Sonne punktförmig wäre, was sie aber offensichtlich nicht ist. Somit wird es morgens durch das Licht des Sonnenrandes früher hell und abends später dunkel. Deutlich ist im Sommer und Winter der Effekt der Breite zu sehen. So unterscheiden sich Palma und List um mehr als 2 Stunden. Der Unterscheid in der Tageslänge zwischen Sommer und Winter beträgt in List mehr als 10 Stunden, in Palma nur 5,5 Stunden – den sonnigen Süden kann man daher besonders gut im Winter genießen.
Die Tageslänge würde sich übrigens nicht ändern, wenn man auf die Sommerzeit verzichten würde, denn es verschieben sich dann ja Auf- und Untergangszeiten parallel.
Sortiert von Westen nach Osten:
Sonnenauf- und -untergang | Palma | Selfkant | List | Oberstdorf | Nürnberg | Görlitz |
20.03. (MEZ bzw. WEZ) | 06:54 – 19:01 | 06:40 – 18:49 | 06:30 – 18:39 | 06:23 – 18:31 | 06:19 – 18:28 | 06:04 – 18:12 |
21.06. (MESZ bzw. WESZ) | 06:22 – 21:20 | 05:22 – 21:55 | 04:47 – 22:09 | 05:22 – 21:19 | 05.09 – 21:26 | 04:45 – 21:19 |
23.09. (MESZ bzw. WESZ) | 07:38 – 19:46 | 07:23 – 19:33 | 07:13 – 19:23 | 07:06 – 19:15 | 07:03 – 19:12 | 06:47 – 18:57 |
21.12. (MEZ bzw. WEZ) | 08:06 – 17:28 | 08:37 – 16:32 | 08:49 – 15:59 | 08:03 – 16:30 | 08:09 – 16:18 | 08:01 – 15:55 |
Tageslänge |
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20.03. | 12:07 | 12:09 | 12:09 | 12:08 | 12:09 | 12:08 |
21.06. | 14:58 | 16:33 | 16:22 | 15:57 | 16:17 | 16:34 |
23.09. | 12:08 | 12:10 | 12:10 | 12:09 | 12:09 | 12:10 |
21.12. | 9:22 | 7:55 | 7:10 | 8:27 | 8:09 | 7:54 |
Sortieren wir die Orte dagegen von West nach Ost, so sehen wir an den Terminen der Tag- und Nachtgleichen in Frühjahr und Herbst sehr schön den Effekt der geographischen Länge: Je weiter östlich, desto früher geht die Sonne auf bzw. unter. Im Sommer und Winter aber überlagern sich die Effekte von Länge und Breite.
Kommen wir zu unserer Anfangsfrage zurück: der Abschaffung der Sommerzeit. Es würde dann das ganze Jahr über eine einheitliche Zeit gelten. Aber wäre das dann die astronomisch richtige MEZ? Manche wollen dann nämlich ganzjährig die Sommerzeit, also MESZ anwenden. Die Tabelle oben zeigt, was das für Konsequenzen hätte. Zu Frühlingsanfang ginge die Sonne in Deutschland zwischen 7:04 Uhr und 7:40 Uhr auf. Das hieße also im Dunklen aufstehen und sich vielleicht sogar noch im Dunkeln auf den Weg zur Arbeit oder in die Schule machen. Noch extremer wäre es kurz vor Weihnachten. Dann würde die Sonne erst zwischen 9:01 Uhr und 9:49 Uhr aufgehen. Da mag ja jeder seine Präferenzen haben, aber mein Fall wäre es definitiv nicht.