Was uralte Knochen über unsere Vorfahren verraten
Ausstellung und Workshop für Kinder befassen sich mit Skeletten
Gast Autor*in |
Wussten Sie schon, dass unser Körper aus mehr als 200 Knochen besteht? „Anatomisch korrekt - Was uns im Inneren zusammenhält“ lautet die Themenwelt vom 12. September bis 2. Dezember 2023 in der Stadtbibliothek. Eine Ausstellung und eine Veranstaltungsreihe befassen sich aus verschiedenen Perspektiven mit dem Aufbau des menschlichen Körpers. Dr. Bettina Jungklaus ist Osteoanthropologin und untersucht von Berufs wegen menschliche Überreste, die zum Teil in uralten Gräbern gefunden werden. Am 10. November 2023 wird sie im Rahmen der Themenwelt einen Vortrag halten „Was uns Knochen über die Geschichte eines Menschen erzählen“ und am 11. November 2023 einen Workshop für Familien mit Kindern ab zwölf Jahren geben, in dem sie Einblicke in ihre Arbeit gewährt.

Frau Jungklaus, wie wird man Osteoanthropologin und was ist das genau?
Bettina Jungklaus: Ich habe Biologie studiert und mich weiter spezialisiert – auf Humanbiologie, auf Anthropologie, also die Wissenschaft vom Menschen und seiner Entwicklung, sowie auf Grabungstechnik. Der Begriff Osteo steht für Knochen. Ich habe also im Studium auch gelernt, wie man Knochen untersucht und was diese über den Menschen aussagen. Seit 1994 arbeite ich als selbstständige Gutachterin.
Wer sind Ihre Auftraggeber*innen und welche Leistungen erbringen Sie diesen?
Jungklaus: Als freiberufliche Osteoanthropologin bekomme ich Anfragen von archäologischen Landesämtern, Gräber zu bergen, Knochen zu untersuchen und meine Erkenntnisse zu dokumentieren. Museen unterstütze und berate ich bei Ausstellungskonzepten; an Universitäten halte ich Lehrveranstaltungen unter anderem zur Grabungstechnik. Auch werde ich von archäologischen Firmen beauftragt, im Vorfeld von Baumaßnahmen bei Notgrabungen Knochenfunde zu begutachten.
Was sagen die Knochen über die Menschen zu ihren Lebzeiten aus?
Jungklaus: Neben dem Alter, dem Geschlecht und der Körpergröße geben uns Knochen ein Zeugnis über die Lebensbedingungen eines Menschen. Am Skelett kann man
Krankheiten ablesen oder ob der Mensch hart körperlich gearbeitet hat, sogar Stress ist erkennbar. Ein Mensch aus der Steinzeit hat ein anderes Skelett als einer aus dem 19. Jahrhundert.
Sie müssen sich also auch mit den geschichtlichen Epochen auskennen?
Jungklaus: Wenn bei Ausgrabungen Knochen gefunden werden, weiß ich bereits von den Archäologen, aus welcher Zeit die Funde stammen. Aus eigenem Interesse lese ich dazu Fachliteratur und recherchiere über die jeweilige Epoche, in der die Menschen gelebt haben, um einordnen zu können, welche gesellschaftlichen Zustände geherrscht haben - wie Krieg, Krankheiten, Hungersnöte oder eben Lebensbedingungen. Geschichtliches Wissen ist also unerlässlich in meinem Beruf. Ich entwerfe ja anhand der Knochenfunde Biografien und dazu gehört auch das ganze Umfeld.

Welches war der älteste Knochenfund, den Sie untersucht haben?
Jungklaus: Der älteste Fund waren Gräber aus der mittleren Steinzeit in der Uckermark, also im nördlichen Brandenburg. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wurden dort ab dem Jahr 2012 zwölf Skelette freigelegt: Männer, Frauen, Kinder. Vor 8000 Jahren waren die Menschen noch Jäger und Sammler und zogen durch die Gegenden. Sie wurden üblicherweise einzeln begraben, wo sie gerade starben. Dieses Gräberfeld in der Uckermark gilt als der älteste und größte je gefundene Friedhof in Mitteleuropa aus dieser Zeit.
Welche Ausgrabungen haben Sie menschlich besonders berührt?
Jungklaus: Knochenfunde aus Gewaltkontexten gehen mir sehr nahe. Schwere Schicksale stecken hinter diesen Menschenleben. Im ersten und immer noch größten gefundenen Massengrab aus dem Dreißigjährigen Krieg wurden im Jahr 2007 in Brandenburg 125 Skelette von gefallenen Soldaten freigelegt. Sie starben in einer Schlacht im Jahr 1636. Damals gab es große Feldschlachten mit 60.000 Männern auf beiden Seiten. Die Skelette wiesen Schussverletzungen auf. Es gab seinerzeit ja schon Pistolen und Kanonen.
Wie kann man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?
Jungklaus: Jeder Tag sieht anders aus. Oft beginnt ein Projekt an der Ausgrabungsstelle der Archäologen. Ich komme also hinzu und gewinne erste Eindrücke. Ich mache Fotos von der Örtlichkeit und von den geborgenen Knochen. Dann nehme ich die Knochen mit in meine „Knochenwerkstatt“, wie ich meinen Arbeitsplatz zuhause nenne. Säubere sie, trockne sie, setze die Knochen zusammen und die Zähne in den Kiefer. Nun erhebe ich individuelle Daten über das Skelett oder die Teile des Skeletts, über den Zustand der Knochen. Diese werden vermessen, um die Körpergröße bestimmen zu können. Ich ziehe Schlussfolgerungen über die Person: ob sie weiblich oder
männlich war, wie alt sie war und wie sie gelebt hat. Darüber fertige ich in meinem Büro einen Bericht an, der dann mitunter publiziert wird oder ich halte Vorträge über den Fund.
Wo befinden sich Ihre Fundstellen?
Jungklaus: Ich bin vor allem in Deutschland unterwegs und arbeite hier schwerpunktmäßig an großen Ausgrabungsorten in Nord- und Ostdeutschland; ich war aber auch schon in Forchheim tätig, wo ich im Auftrag einer Ausgrabungsfirma Fundorte am Kloster und am Rathaus aufsuchte – im Zuge der Vorbereitung von Bauvorhaben.
Was erwartet die teilnehmenden Familien in Ihrem Workshop in der Stadtbibliothek?
Jungklaus: Ich werde kindgerecht über meine spannende Arbeit berichten und konkret Einblicke in meine Vorgehensweise geben. Das Ganze dann zum Mitmachen: Zu diesem Zweck bringe ich Skelettteile mit, um die Anatomie zu erklären. Auch können die Familien dann Knochen auf einem Tisch zusammensetzen. Wir werden das Geschlecht und das Sterbealter bestimmen.
Was reizt Sie an derartigen Workshops?
Jungklaus: Ich finde die museumspädagogische Wissensvermittlung – das genau geschieht ja in der der Stadtbibliothek als Lernort und Erfahrungsraum – sehr wichtig. Es macht mir Spaß, mein Wissen zu teilen, sei es an der Universität mit Studierenden oder mit Kindern. Gerade Mädchen und Jungen ab zwölf Jahren sind sehr neugierig, verständig und interessiert an Geschichte und Geschichten. Es geht in dem Workshop nicht um den Gruseleffekt, der mit Skeletten oft einhergeht. Nicht die Toten stehen im Vordergrund; vielmehr beschreibe ich, was die Knochen über das Leben der Menschen in früheren Zeiten erzählen.
Interview: Susanne Stemmler