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Luxuriöses Nachschlagewerk zeigt die Vogelwelt vor 200 Jahren

Stadtbibliothek präsentiert Auswahl detailgetreuer Darstellungen

Gast Autor*in |

Stadtbibliothek

Es ist eine Rarität: Nur 32 Exemplare sind von der „Naturgeschichte der Vögel Deutschlands“ bekannt. Das großformatige Werk erschien zwischen 1805 und 1821, es umfasste 30 Lieferungen mit insgesamt 180 kolorierten Kupferstichen von herausragender Qualität. Mit der Lupe sollte man sich das Federkleid des Wiedehopfs oder des Uhus
anschauen – einzigartig, wie detailgenau, naturgetreu und fein der Nürnberger Künstler Ambrosius Gabler (1762-1834) gearbeitet hat. Die Nürnberger Stadtbibliothek besitzt ein Exemplar mit allen Kupferstichen im Original sowie eine Kopie der erläuternden Textbände. Erstmals seit vielen Jahrzehnten sind die 40 mal 50 Zentimeter großen Blätter des Prachtbands in einer Sonderschau zu sehen - im klimatisierten Ausstellungskabinett der Stadtbibliothek Zentrum vom 3. November 2023 bis 3. Februar 2024.

Die lebensgroßen Vogeldarstellungen nötigten einst der Dichter-Ikone Johann Wolfgang von Goethe ein beredtes Lob ab. Doch selbst dieser geistige Ritterschlag konnte nicht verhindern, dass das luxuriöse Vogelbuch vor 200 Jahren wirtschaftlich ein Misserfolg wurde. Heute ist das Gegenteil der Fall, die seltenen Stiche sind am Sammlermarkt gefragt. Ein vollständiger Tafelband mit 180 Kupferstichen sowie den beiden Textbänden wechselte bei einer Auktion im Jahr 2004 für 69.000 Euro den Besitzer. Antiquariate bieten einzelne Kupferstiche gelegentlich für 700 Euro an.

Natürlich zeigt die Sonderschau nicht die komplette Vogelschar, dazu ist der Raum zu klein. Eine Auswahl von 20 dieser lichtempfindlichen Kunstwerke wird präsentiert - darunter der Uhu, die Mauerschwalbe, das Waldhuhn oder der Bartgeier. Aber alle Darstellungen der Künstler Ambrosius Gabler, Johann Matthias Hergenröder und Johann Christoph Bock sind digitalisiert und dort für die Besucher einsehbar. „Es ist eines der schönsten Vogelbücher Deutschlands und in dieser Qualität einmalig“, betont Kuratorin Dr. Christine Sauer. Neben der künstlerischen Hochwertigkeit hatte der Nürnberger Kunstverlag Johann Friedrich Frauenholz auf eine entsprechende Umsetzung geachtet und feines englisches Velin-Papier für den Druck verwendet.

Dr. Christine Sauer und ein Bild aus der Ausstellung "Vogelmalerei"
Christine Sauer, Leiterin der Historisch-Wissenschaftlichen Stadtbibliothek, hat die Ausstellung zusammengestellt. / © Michael Matejka

Christine Sauer, Wissenschaftlerin der Stadtbibliothek, hat die jüngste Sonderschau zusammengestellt. Nach Ausstellungen zur Pflanzenwelt oder zu berühmten Nürnbergerinnen und Nürnbergern wie der Naturforscherin Maria Sibylla Merian oder dem Verleger Anton Koberger sollen nun auch die Piepmätze zu ihrem Recht kommen – darunter so unbekannte wie der Wespenfalke, der Pirol, der Wendehals oder der gehörnte Steissfuss.

Es ist interessant festzustellen, welche Vögel vor 200 Jahren in Deutschland beheimatet waren – und welche seitdem verschwunden sind. In Zusammenarbeit mit Cathérine Conradty vom Landesbund für Vogelschutz (LBV) schlägt die Ausstellung mit Vorträgen zum Artenschutz die Brücke zur Gegenwart. Außerdem rundet der LBV das Programm mit Lesungen und Workshops ab. Natürlich geben die 180 Kupferstiche nicht die gesamte heimische Artenvielfalt zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder: Das ehrgeizige Projekt des Tafelwerks wurde 1821 eingestellt, obwohl noch weitere Vorzeichnungen zu gefiederten Modellen existierten. Denn dies waren die Arbeitsschritte: Zunächst wurde gezeichnet, dann in Kupfer gestochen und abschließend mit feiner Hand koloriert.

Die Gründe für das abrupte Ende dürften zum einen darin zu suchen sein, dass es ein wirtschaftlicher Flop war. Doch Wissenschaftsjournalist Rolf Schlenker, der sich eingehend mit dem Vorhaben beschäftigt hat, weist noch auf „Verstimmungen“ und „Zerwürfnisse“ zwischen Verleger und Künstler hin. Dem Künstler Hergenröder soll „offensichtlich übel mitgespielt“ worden sein: Werke aus seiner Feder – etwa das Steinhuhn oder der Sperber – wurden Ambrosius Gabler zugeschrieben. „Möglicherweise war dies Ursache des Konflikts“, mutmaßt Schlenker. So bietet die Schau neben den hervorragenden ornithologischen Darstellungen ganz nebenbei noch ein heftiges Copyright-Gerangel.

Zwei Vögel aus der Ausstellung "Vogelmalerei"
Ein Uhu und ein Wiedehopf aus der "Naturgeschichte der Vögel Deutschlands". / © Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg

Unbestritten ist trotzdem, dass Ambrosius Gabler den größten Teil der Vorzeichnungen für die Kupferstiche angefertigt hat, Christine Sauer geht von rund 70 Prozent aus. Der akribische, fränkische Vogelmaler ist in der Fachwelt noch durch ein anderes Werk mit dem Titel „Die Nürnberger Schimpfwörter bildlich dargestellt“ in Erinnerung: An Humor scheint es dem Kupferstecher nicht gemangelt zu haben. Den Auftrag für die Vogelmalerei erhielt er vom Nürnberger Pädagogen Johann Wolf (1765-1824), der mit dem versierten Naturforscher und Goethe-Bekannten Bernhard Meyer (1767-1836) die einzigartige „Naturgeschichte der Vögel Deutschlands“ (Signatur Med. 281. 2°, Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg) herausgegeben hat.

Die beiden Ornithologen lieferten die umfassenden Texte zu Art, Vorkommen, Eigenarten, Brut, Nutzen und Schaden der Vögel – aber auch zu Jagdmethoden. Denn Wolf und Meyer beobachteten ihre Studienobjekte nicht nur in freier Natur. Sie fingen sie auch und sezierten sie mitunter. So hatten sie beispielsweise Quarzsand im Magen eines Vogels entdeckt, was sie als Hilfe bei der Verdauung von Körnern interpretiert haben. Die zwei Naturbeobachter besaßen umfangreiche Sammlungen von ausgestopften Exemplaren.

Ein Grünspecht und Mauerschwalben aus der "Naturgeschichte der Vögel Deutschlands". / © Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg

Herausgeber Wolf stellt sich in dem Werk als „Lehrer an der Knaben-Industrie-Schule Nürnberg“ vor. Mit Meyer gehörte er zu den bedeutendsten deutschen Ornithologen. Außerdem ist Wolf bis heute als Gründer der Naturhistorischen Gesellschaft in Erinnerung, die in der Nürnberger Norishalle ihre vielfältigen Bestände präsentiert. Wolf und Meyer hätten bei dem Opus „korrigierend“ eingegriffen, meint Wissenschaftsjournalist Schlenker. Da nach „Stopfpräparaten“ und nicht in der freien Natur gemalt wurde, habe die Haltung und Stellung der Vögel gelegentlich zu wünschen übrig gelassen: Manches wirke doch etwas steif, urteilt der Autor. Doch die dezente, genaue Farbgebung gleiche diesen Mangel aus.

Christine Sauer macht dagegen bei etlichen Kupferstichen durchaus Natürlichkeit in der Darstellung und charakteristische Bewegungen geltend. Sie ist stolz, dass die Nürnberger Stadtbibliothek ein derart erlesenes, seltenes Kunstwerk präsentieren kann. Für die Wissenschaftlerin ist es der entscheidende Beitrag Deutschlands zu den Vogelbüchern, denn in Frankreich und England gab es diese Tradition schon länger. Vogelfreunde sollten sich die Sonderschau in der Stadtbibliothek Zentrum auf keinen Fall entgehen lassen – auch wenn das Braunkehlchen als Vogel der Jahres 2023 nicht zu sehen ist: Der kleine Wiesenbrüter befindet sich nicht unter den 180 hochwertigen Farbtafeln. Doch die Kupferstiche bieten genügend interessante Alternativen.

Text: Hartmut Voigt

Ausstellung "Vogelmalerei"

Nach einer Verlängerung ging die Ausstellung am Montag, 19. Februar 2024 zu Ende. Die „Naturgeschichte der Vögel Deutschlands“ kann in der Virtuellen Schatzkammer weiter bewundert werden:
Virtuelle Schatzkammer
Wir haben für Sie die von Cathérine Conradty (LBV-Kreisgruppe Nürnberg und Nürnberger Land) vermittelten Vogelstimmen zum Nachhören gesichert.

Vogelstimmen

  • Wendehals

  • Mauersegler

  • Kiebitz

  • Ortolan

  • Rohrweiher

  • Bartgeier

  • Wiedehopf

  • Wachtelkönig

  • Wanderfalke

  • Haussperling

  • Uhu

  • Turmfalke

  • Schleiereule

  • Grünspecht

  • Wespenbussard

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