Vom einstigen Ruhm zeugen liebevoll gestaltete Kinderbücher
Ausstellung zeigt Sammlung der Enkelin des Verlegers Stroefer
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Vor Christine Sauer liegt ein Schatz. Fasziniert steht die Leiterin der Historisch-Wissenschaftlichen Abteilung der Stadtbibiliothek vor einem großen Tisch, auf dem graue Schachteln in verschiedenen Formaten nur darauf warten, geöffnet zu werden. Hier, in einem der Magazine, lagern viele historisch kostbare Dokumente. Diese Sammlung aber über das Schaffen des Nürnberger Verlegers Theodor Stroefer schien unwiederbringlich verloren.
„1945 ist Stroefers Kunstverlag völlig ausradiert worden. Es gab so gut wie keine Zeugnisse mehr, auch nicht im Stadtarchiv“, sagt Christine Sauer und öffnet behutsam Schachtel um Schachtel. Kunterbunt und glänzend liegt darin, was Kinder einst auf dem Geburtstagstisch oder unter dem Weihnachtsbaum fanden: Kinderbücher in all ihren Sonderformen wie Aufklapp-, Zieh-, Form- oder Drehbilderbuch, sogar Puzzles – „Ein Legespiel“ – und Popup-Bücher, die etwa über Zootiere aufklären. Vieles mehr gibt Verleger Theodor Stroefer ab 1893 weltweit heraus. Man kann sich kaum sattsehen, möchte wie die Kinder einst abtauchen in diese heile Welt bunt-fröhlicher Bilder und harmloser Geschichten.

Dass wir diese Vielfalt heute betrachten können und der Blick auf das Schaffen eines weit über Deutschland hinaus erfolgreichen Nürnberger Kunstverlegers wieder möglich wurde, ist Eva Klose, der Enkelin Theodor Stroefers, zu verdanken. Ihr Interesse an seinem Werk haben vermutlich Bilderbücher aus dem Besitz ihrer Mutter, dem jüngsten Kind des Ehepaars Stroefer, geweckt. So beginnt Eva Klose in den 1980er Jahren in Archiven und Bibliotheken zum Lebenswerk ihres Großvaters zu recherchieren. Sie kauft in Antiquariaten, im Buchhandel und auf Auktionen Bücher und Kunstpostkarten aus der Verlagsproduktion (mit Firmensitzen in New York, München und vor allem Nürnberg) auf und ergattert repräsentative Zeugnisse zur Verlagsgeschichte.
„Was sie zusammengetragen hat, ersetzt nun, was auch an Aufzeichnungen zum Verlag nicht mehr vorhanden ist“, verdeutlicht Sauer den historischen Wert. „Das Interessante ist ja die Zeit: Wie wurde damals das Netzwerk aufgebaut? Wie wurden die Dinge beworben?“ Sauer verweist auf einen Bücherwagen neben dem Tisch: Dicht drängen sich darauf weitere Archiv-Schachteln. „Als Eva Klose 2016 starb, suchte man einen Platz für ihre Sammlung; auch bei der Stadtbibliothek wurde angefragt. Und an einem eiskalten Wintertag habe ich sie dann gemeinsam mit einer Restauratorin abgeholt: 550 laufende Nummern, inklusive Sekundärliteratur!“

Christine Sauer greift nach einem Buch in Puppenform: „Das ist mein Lieblingspüppchen!“, sagt sie begeistert und schlägt es vorsichtig auf. „Bunte und schwarzweiße Bilder illustrieren wenig Text, als Vorlesende konnte man mit dem Kind gut lange sitzen und gucken. Es ist goldig, kindgerecht, kurze eingängige Verse und Texte, Mädchen in Biedermeier-Tracht. Eine unschuldige Welt – alles ist heil und gut.“
Doch was machte diesen Theodor Stroefer eigentlich so herausragend? 1843 in Pyrmont geboren, wird er in München bei Friedrich Bruckmann zum Verlagskaufmann ausgebildet und 1866 nach New York City entsandt, um am Broadway eine Handelsagentur aufzubauen. Sauer blickt vom Bilderbuch auf. „Er gründet 1868 einen Verlag, tut sich drei Jahre später mit Georg Kirchner zusammen und spezialisiert sich auf Kunstbücher.“ Es waren echte Prachtausgaben: Texte deutscher Klassiker in Übersetzung, illustriert von namhaften Künstlern, mit Goldschnitt und in beeindruckenden Lederschnitt-Einbänden. „Diese Renommierobjekte legte man zum Betrachten etwa in Salons aus, in denen das Bildungsbürgertum zusammenkam. Man prahlte gern mit dem, was man so hatte.“
Stroefer war in den USA absolut angekommen. „Wir haben sogar die Willkommensurkunde von 1872“, verweist Sauer auf ein großes Dokument. Dennoch kehrt er 1876 nach Deutschland zurück und eröffnet in München einen deutschen Kunstverlag. Als einer der ersten verlegt er die Graphikzyklen von Max Klinger, dem bekanntesten deutschen Graphiker des 19. Jahrhunderts, und lernt auf einer seiner Englandreisen die britische Illustratorin Kate Greenaway kennen. „Sie war im Bereich Bilderbücher ein Shooting-Star – und Stroefer vertrieb exklusiv die deutschen Übersetzungen der von Greenaway erschaffenen idyllischen Kinderwelt. Das brachte ihm in den frühen 1880er Jahren erste Erfolge im Kinderbuchsegment. Die Greenaway-Produkte müssen gelaufen sein wie geschnitten Brot!“

Christine Sauer greift nach einem Buch zum Ausmalen; am Ende wird darin geschickt ein Malkasten beworben. Selbst diesen konnte Eva Klose noch irgendwo auftreiben. Sauer klappt ihn auf – gebraucht ist er, doch sogar die Farben sind erstaunlich gut erhalten.
Drucken lässt Stroefer in der „Kunstanstalt für graphische Reproductionen“ von Ernst Nister in Nürnberg. Die intensive Zusammenarbeit bringt Stroefer 1893 dazu, den Verlagssitz in die Hirschelgasse 26 nach Nürnberg – eine wichtige Stadt für die Buchproduktion – zu verlegen. „Das begründete auch die Hochzeit des Verlags“, erklärt Sauer. Stroefer wird Teil eines internationalen Vertriebssystems: Mit Übersetzungen von Nisters englischen Kinderbüchern bedient er den deutschsprachigen Raum. „Nister, der viele Spezialisten beschäftigte, produzierte die aufwändigen Produkte – es ist die Zeit der Industrialisierung: möglichst schnell, möglichst viel und möglichst bunt!“
Über Jahrzehnte laufen mehrbändige Anthologien wie „Guck! Guck!“, „Plauderstündchen“ oder Jugendliteratur von James Fenimore Cooper höchst erfolgreich. Für die Sammlung über das Wirken ihres Großvaters hat Eva Klose sogar ein nicht fertig produziertes Buch entdeckt, das bereits gedruckte Bilder zeigt, aber auch Leerraum für Text, der in deutscher oder englischer Sprache eingesetzt wurde.

Nisters Tod 1909 beendet die Zusammenarbeit, und der Erste Weltkrieg führt zum Einbruch im Verlagsgeschäft. Geschenkartikel wie Kalender, Geburtstags-, Oster- und Konfirmationsgaben nehmen nun mehr Raum ein, „zudem baut Stroefer einen eigenen Zweig für farbige Kunstpostkarten auf und zählt damit zu den frühen Verlegern in Deutschland“, erläutert Sauer. „Das war ein Massengeschäft! Durch Eva Kloses Engagement haben wir in elf Kisten auch eine Kunstpostkarten-Edition.“
Trotz seiner großen Erfolge – bekannt ist Stroefer auch durch seine Sammlung von Gemälden, Kunstgewerbe und Skulpturen – lebt er sehr zurückgezogen. 1927 wird er auf dem Johannisfriedhof beigesetzt. Sein Sohn August führt den Verlag weiter.
„Theodor Stroefer war ein äußerst bescheidener Mann, und es gibt nur sehr wenige, aber charakteristische Fotos von ihm.“ Eines zeigt ihn mit Zylinder und Hund. Eine Weile blickt Sauer auf das alte Foto. „Er hat tatsächlich immer die Qualität im Blick gehabt, aber auch, wie man die Produkte verkaufen kann. Ob Kunst- oder Kinderbuch – für neue Techniken war er sehr aufgeschlossen und hatte einen echten Riecher für den Markt.“ Die kunstvollen Zeugnisse zu Stroefers Wirken zeigt die Stadtbibliothek im Kabinett: Kinderbücher natürlich, aber auch vieles darüber hinaus, das Zielpublikum sind Erwachsene.
„,Guck! Guck!‘, das war auch so ein Best- und Longseller, ist unser Plakatbild.“ Christine Sauer strahlt. Diese Ausstellung über einen erfolgreichen deutschen Kunstverleger konnte so noch nie gezeigt werden: „Es ist tatsächlich eine Ausstellungspremiere!“
Text: Anabel Schaffer