Alte Handschriften entführen in das Leben im Dominikanerkloster
Ausstellung „Aufgehoben!“ zeigt 500 Jahre alten Wissensschatz
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In Umberto Ecos spannendem, weltberühmtem Roman „Der Name der Rose“ steht eine mittelalterliche Klosterbibliothek im Zentrum der Handlung. Die Hüter verteidigen deren immensen Wissensschatz mit äußerst rigiden Mitteln – bis hin zum Mord an neugierigen Mönchen, die den Geheimnissen auf die Spur kommen wollen. So dramatisch ging es im Nürnberger Dominikanerkloster natürlich nicht zu. Im Gegenteil: Die exzellente Bibliothek mit fast 1.000 Bänden war den Geistlichen frei zugänglich und wurde eifrig genutzt. Die Schriften waren schließlich für das Studium der in der Seelsorge tätigen Mönche gedacht.
Die Dominikaner mussten als Predigerorden die Bibel interpretieren und ihren Zuhörern den richtigen Lebenswandel ans Herz legen. Dazu boten die lateinisch verfassten Schriften ausreichend Material. Kloster und Kirche befanden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus, an der heutigen Burgstraße – auf welcher der Kaiser mit seinem Gefolge bei seinen Nürnberg-Besuchen zur Burg hinaufzog.
Die privilegierte Lage allein zeigt schon die große Bedeutung unter den acht Nürnberger Klöstern. In der Dominikaner-Bibliothek wurden die in Schweinsleder gebundenen Traktate auf 35 Pulten präsentiert – allerdings waren die Bücher festgekettet, damit sie nicht Beine bekamen. Vom Kloster selbst ist kaum mehr etwas übrig: Die Kirche St. Marien an der Ecke zur Theresienstraße wurde 1807 abgerissen, der Klostertrakt ging am 2. Januar 1945 im Feuersturm der Altstadt unter. Die wenigen denkmalgeschützten Reste wurden 2019 umfassend saniert und als Eigentumswohnungen verkauft.

Die Nürnberger Stadtbibliothek erinnert anlässlich des Nürnberger Religionsgesprächs vor exakt einem halben Jahrtausend mit einer Ausstellung bis zum 5. Juli 2025 an die reich ausgestattete Bibliothek der Dominikaner: „Aufgehoben!“ ist der doppeldeutige Titel der Sonderschau. Denn das Dominikanerkloster wurde – wie die anderen katholischen Ordenshäuser auch – nach dem Übertritt der freien Reichsstadt Nürnberg zur Reformation aufgehoben, also aufgelöst. Aufgehoben, im weiteren Wortsinn von „bewahrt“, wurde der Bücherschatz der Mönchsgemeinschaften. Er ist damals in den Besitz der Stadt übergegangen.
Dr. Christine Sauer, Leiterin der historisch-wissenschaftlichen Abteilung der Stadtbibliothek und Hüterin dieses bedeutenden Wissensspeichers, präsentiert die Dominikaner-Bibliothek erstmals der Öffentlichkeit. 500 Jahre Nürnberger Religionsgespräch sind der Anlass, Interessierten einen Einblick in das damalige geistige und geistliche Leben zu geben. Neben religiösen und philosophischen Werken befinden sich darunter auch juristische Abhandlungen und medizinische Werke – ein breiter Wissenskosmos konnte sich also im vermeintlich finsteren Mittelalter entfalten.
Es ist erstaunlich und äußerst erfreulich, dass sich der profunde Schatz der katholischen Klöster in der reformierten Reichsstadt erhalten hat. Während andernorts nach der Säkularisation zu Beginn des 19. Jahrhunderts Klosterbibliotheken zerstört und die dicken Folianten zerrissen auf die Straße geworfen wurden, hat Nürnberg sein geistiges Erbe gepflegt und im Archiv gelagert. Der erste gemeinsame Ort für die Bibliotheken der Augustinereremiten, Kartäuser, Benediktiner und Karmeliten befand sich übrigens im Dominikanerkloster – dorthin wurden die Bücher nach der Übereignung an die Stadt gebracht.

Das Dominikanerkloster hatte eine eigene Buchbinderei: Mönch Konrad Forster war deren Leiter, sieben Mitbrüder gingen ihm zur Hand. Sie hatten eine Spezialität, die man sonst nicht findet: Auf den ledernen Einbänden waren der Name des jeweiligen Buchbinders und das Jahr der Anfertigung eingeprägt. Mit der Namensnennung wollten die geistlichen Handwerker etwas für ihr eigenes Seelenheil tun – sie wollten nicht vergessen werden, man sollte für sie beten.
Wie übrigens auch für die Sponsoren der Dominikaner, die von Spenden der Bevölkerung lebten: Mit roter Tinte hat man die Namen der Mäzene in manchen Büchern festgehalten. Die Pergamentseiten, die in Schweins-, Kalbs- oder Ziegenleder eingebunden wurden, waren teuer. Daher ging man auch sehr sorgsam damit um: Staubklappen an den Einbänden verhinderten, dass Schmutzpartikel in die Bücher gelangten. Die meisten Staubklappen sind heute jedoch entfernt.
Ein Werk ragt aus der Menge der Bücher heraus, allein schon durch sein Format: Die Weltchronik des Priors Peter Kirchschlag aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts ist 60 Zentimeter hoch. In ihr hat der Abt die Schöpfungsgeschichte festgehalten – ein prächtiges buntes Bild unterstreicht den Text. Man sieht die Erde als Mittelpunkt des Universums – diesen Irrtum hat Galileo Galilei erst etliche Generationen später korrigiert. Ein Nürnberger Zeitgenosse Kirchschlags hat dagegen dessen damals übliche Vorstellung übernommen, dass sich die Sonne um die Erde dreht: Hartmann Schedel hat sie in seiner ebenso bekannten wie bedeutenden Weltchronik von 1493 genauso illustriert. Schedel hat wohl öfter ausführlich in der Dominikaner-Bibliothek geblättert oder die Fresken im Kreuzgang betrachtet – sein Bruder Johannes war Mönch im Kloster.
Der Predigerorden trug mit Aufträgen dazu bei, dass Nürnberg im 15. Jahrhundert ein Zentrum der Handschriften Produktion gewesen ist. Professionelle Buchmaler und Schreiber hatten sich angesiedelt und waren in der Handelsstadt mit ihren weit verzweigten Verbindungen in andere Länder gut beschäftigt. Die Sonderschau im Ausstellungskabinett erinnert an die Welt des Wissens, das sich auf den Pulten des 1543 aufgelösten Nürnberger Dominikanerklosters angesammelt hatte. Übrigens geben die schriftlichen Zeugnisse nicht nur Hilfen zur Predigt oder juristische Einschätzungen.
Auch allzu Menschliches ist überliefert: So gibt es einen Bericht, dass der Abt des Nürnberger Dominikanerklosters 1515 zwangsversetzt wurde, weil er eine Liebesbeziehung zu einer Nonne im Frauenkloster Engelthal unterhalten hatte. Es war aufgefallen, dass der Abt häufig diesen Konvent aufgesucht hatte – angeblich, um die Einhaltung der strengen Ordensregeln zu kontrollieren.
Text: Hartmut Voigt