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125 Jahre Hermann Kesten

Festakt zum Gedenken an den Autor

Dr. Christine Sauer |

Literatur, Stadtbibliothek

Hermann Kesten wurde in Galizien (heute Westukraine) am 28. Januar 1900 geboren und verstarb am 3. Mai 1996 in Basel. Im Alter von vier Jahren kam er mit seiner Familie nach Nürnberg. Hier besuchte er die Bismarckschule und das Melanchthon-Gymnasium. Zeitlebens blieb er der Stadt verbunden, die seine Kindheit und Jugend prägte.

Nach Flucht, Internierung und Exil in Frankreich und den USA während des NS-Regimes kehrte er 1949 erstmals wieder nach Nürnberg zurück. 1954 erhielt er den Kulturpreis der Stadt, 1980 wurde er Ehrenbürger, seit 1965 sind hier in seiner Anwesenheit die runden Geburtstage gefeiert worden.

Aus Anlass seines 95. Geburtstags stiftete der Schriftsteller die Preissumme des 1. Nürnberger Menschenrechtspreises. Darüber hinaus engagierte er sich beim PEN-Zentrum Deutschland, von 1972 bis 1976 auch als dessen Präsident. Bis heute verleiht der PEN den 1975 gestifteten Hermann Kesten-Preis.

Die Figur des Autors / © Markus Müller / Stadt Nürnberg

Der 125. Geburtstag bot den Anlass für eine Fortsetzung der Tradition. Im Katharinensaal der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg wurde im Rahmen eines Festaktes an Hermann Kesten erinnert und seine Leistung gewürdigt. In ihrem Grußwort stellte die 2. Bürgermeisterin der Stadt Nürnberg, Professor Dr. Julia Lehner, die durchaus ambivalenten Bezüge des Dichters zu Nürnberg heraus, dem Glückstraum seiner Kindheit und Jugend sowie dem durch die Gräuel der NS-Zeit ausgelösten Angsttraum.

Schülerinnen und Schüler des Bismarck-Mittelschule zeigten mit ihren Interpretationen von Hermann Kestens Gedicht ‚Ich bin ein Spaziergänger‘ die Aktualität seines seit 1933 durch Flucht, Exil und Nicht-Sesshaftigkeit geprägten Schicksals: Die Erfahrung von Fremdheit ist in einer von Migration bestimmten Zeit von ungemeiner Aktualität.

 

Uli Rothfuss hielt einen der Vorträge im Rahmen des Jubiläums / © Markus Müller / Stadt Nürnberg

In einem Vortrag würdigte Uli Rothfuss, Mitglied im Präsidium des PEN-Zentrums Deutschland, das Wirken Hermann Kestens im PEN (= Poets, Essayists, Novellists – also Dichter, Essayisten und Romanautoren, 1921 in London gegründet, heute  der größte, internationale Schriftstellerverband mit Sitz in London und mit weit über 150 PEN-Zentren). Uli Rothfuss führte zur Präsidentschaft von 1972 bis 1976 aus:

„Das Engagement im und für den PEN verdient besondere Beachtung. Kesten war Präsident des westdeutschen PEN in den 1970er Jahren. Die 68er Bewegung agierte noch, der Terrorismus in der Bundesrepublik am Heraufziehen, eine Zeit gesellschaftlicher und politischer Umbrüche und ernsthaften Gefahren für die Demokratie. Kesten, mutig, protestiert beim Internationalen PEN gegen die Wahl eines von der Seite des PEN DDR vorgeschlagenen kommunistischen Schriftstellers, begründete mit Entschiedenheit, dass der Vorgeschlagene gegen das in der PEN Charta vorgegebene Toleranzgebot verstoße. […] Ein engagierter Literaten- und Intellektuellenclub muss streiten. Hermann Kesten war Zuspitzer und Ausgleicher in einem, und mit seinem Werk und Leben kann er für uns alle, gerade in der heutigen Zeit, auch hörbarer Mahner sein.“

Arne Zielinski, Manfred Schreiner, Prof. Dr. Julia Lehner, Elisabeth Sträter, Norbert Sedghi und Uli Rothfuss (v.l.n.r.) im Zeitungs-Café Hermann Kesten / © Markus Müller / Stadt Nürnberg

Weiter führt er zu Hermann Kesten aus: „Ein Mensch, von unersättlicher Neugier auf Bücher wie auf Menschen. Ein zur Ironie aufgelegter Satiriker, wie ihn Thilo Koch charakterisiert: ‚Deine Zunge und noch mehr Deine Feder konnten scharf und spitz sein, aber Du hast Dich gehütet vor der herabsetzenden, einen Menschen entwürdigenden Karikatur.‘ Das ist es, was uns beschäftigen sollte: die Freiheit des Wortes, und diese richtig verstanden: nicht unüberlegtes marktschreierisch Raushauen, um des Effekts oder der Manipulation willen, so wie es heute, blicken wir um uns, üblich zu werden scheint. Sondern: differenziert, feinsinnig und auch mal mit leisen Tönen, aber eindringlich zu werben dafür, dass, wo und wenn die Freiheit des Wortes manipuliert oder eingeschränkt ist, die freie Gesellschaft, die Demokratie und damit wir alle in Gefahr sind.“

Und Uli Rothfuss ergänzt: „Wir setzen uns damit, das weiß ich, in Gegensatz zu der lauten Welt, wo – im Moment im Osten wie im Westen, die Proleten, die Multimilliardäre, die Autoritären, mit ihren scheinbaren Werten, Oberhand zu haben scheinen; meine Sorge relativiert sich, wenn ich die Geschichte ansehe: solche Phänomene gab es immer wieder, sie gehen unter; wichtig ist, was auf Dauer besteht. Hermann Kesten, sein Einsatz für den Menschen, für die grundlegenden Werte, für die Freiheit des Wortes, mag uns einerseits mahnendes, andererseits beruhigendes Beispiel sein.“

Ein von Norbert Sedghi konzipierter Spaziergang führt zu den wichtigsten Orten des Autors und Ehrenbürgers; mehr zur LiteraTouren App.

Ausführlich zu Leben und Werk: Hermann Kesten:Stationen; dort auch abrufbar das Gedicht ‚Ich bin ein Spaziergänger‘.

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