Wie man der Stimme ihre kindliche Kraft zurückbringt
Schauspielerin Marsha Cox verhilft zu einem selbstbewussteren Auftritt
Gast Autor*in |
Die Stimme sagt Marsha Cox alles: Nicht was jemand sagt, sondern wie er es tut. Klingt die Stimme gepresst, zu laut oder eher klein – all das formt für sie ein Bild ihres Gegenübers. „Unsere Stimme reflektiert uns 1 zu 1“, sagt sie.
Als Schauspielerin und Tochter eines bekannten Opernsängers kennt sie die Wirkung der Stimme, weiß damit zu arbeiten. Schließlich ist das Organ eines der wichtigsten Instrumente ihres Berufs – gerade auf der Bühne. „Früher musste man im Theater in der Lage sein, mit seiner Stimme einen ganzen Raum zu füllen“, erzählt sie. Und zugleich Gefühle ausdrücken, andere für sich einnehmen, das Publikum zum Bleiben bewegen.
Ihr Wissen darum teilt Marsha Cox – mit großer Leidenschaft und seit Jahren auch am Bildungszentrum: Sie gibt Kurse zu Stimmbildung, Sprechtraining, Schauspielunterricht und verhilft Menschen zu einem offeneren, selbstbewussteren Auftreten. „Es geht nicht einfach nur darum, dass jemand nuschelt, zu schnell oder zu leise redet. Aber wenn nicht einmal ich selbst Interesse daran habe, Dinge klar auszusprechen – warum sollte mir dann jemand anders zuhören wollen?“
Der Klang der eigenen Stimme ist für viele Menschen schwierig einzuschätzen. Deswegen seien wir oft überrascht und erstaunt, wenn wir uns auf Aufnahmen hören. „Wir nehmen uns selbst über die innere Knochenleitung wahr.“ Die Wahrnehmung, die richtige Atmung, das Befreien von Blockaden im Körper – all das sind wichtige Grundlagen ihrer Arbeit, für die sie sich von der bekannten Stimmtrainerin Kristin Linklater hat ausbilden lassen. „Freeing the natural voice“ heißt deren Technik. Bis zu vier Oktaven umfasst der natürliche Tonumfang der menschlichen Stimme, die damit Emotionen und Gedanken unmittelbar ausdrücken kann. Was bei Babys und Kleinkindern noch funktioniert, weicht im Laufe der Jahre einem angepassten, kontrollierten Verhalten.
Den „Chocolate-Chip-Cookie-Effekt“ nennt Cox – in Deutschland geborene Amerikanerin – diese Fehlentwicklung. „Ein Kind hat Appetit, rennt in die Küche und schreit: Ich will jetzt einen Keks. Von den Eltern bekommt es dann zu hören: So nicht!“, beschreibt Cox den Vorgang. „Also trennt sich das Kind von seinem Impuls und sagt beim nächsten Mal mit leiserer, angepasster Stimme: Liebe Mama, lieber Papa, kann ich bitte einen Keks haben.“ Eine Marginalie vielleicht – doch mit großem Effekt. „Das Kind lernt, seinem Impuls nicht zu vertrauen, nimmt sich zurück, schränkt seine Atmung ein.“
Mit ihrer Arbeit will Marsha Cox aber letztlich genau dahin wieder zurück: zu den Impulsen aus Kindertagen. „Es geht nicht um Schöntönen. Alles, was wir erlebt haben, was uns blockiert und gelingt, schlägt sich in der Stimme nieder. Sprechen ist ein psychophysischer Vorgang.“ Im Laufe der Jahre würden die Spontaneität des Atems, Umfang und Kraft der Stimme immer mehr kontrolliert und damit eingeschränkt, bis nur noch ein Teil des Potenzials ausgeschöpft würde. Das Erleben wird so zur Gewohnheit. Einiges bringt der Mensch auch aus seinem „Hörumfeld“ in der Familie mit.
Aber auch soziale Konventionen haben einen Einfluss auf den Klang unserer Stimme. Frauen, die sich beruflich in Männerwelten bewegen, sprechen beispielsweise mit tieferer Stimme, „die eigentlich dunklere Stimme heißt“. Gefühle wie Wut gelten nicht mehr als gesellschaftsfähig – weder bei Frauen noch bei Männern – und werden zunehmend unterdrückt. „Aber die Gefühle sind ja trotzdem da, sie brodeln, werden gedeckelt und brechen irgendwann auf. Wenn ich aufhöre festzuhalten, kann der Körper wieder frei atmen.“
Dazu trägt auch die Körperhaltung entscheidend bei. „Durchgedrückte Beine oder ein verspannter Beckenboden können das freie Atmen behindern – ebenso wie ein Sixpack. Eine feste Bauchdecke behindert die Bewegung des Zwerchfells.“ „Die Stimme ist sehr resilient“, weiß Cox. Sie erinnere sich gewissermaßen an ihren Ursprungszustand und könne dahin zurückgeführt werden. Oft ließen sich mit kleinen Veränderungen schon deutliche Effekte erzielen. „Es kann zum Beispiel helfen, ein wichtiges Telefonat im Gehen zu führen – das lässt einen gleich dynamischer klingen.“
„Die Stimme“, sagt Marsha Cox, „hat nicht nur eine Funktion. Mit ihr kann ich im Körper zum Ausdruckbringen, was ich denke und fühle.“ Und dies auch teilen – etwa auf der Bühne. Das will sie mit ihren Schauspielkursen bewirken. „Wenn ich Wahrhaftigkeit will, muss ich etwas riskieren und darf nicht auf Nummer sicher spielen.“ Hier arbeitet sie nach der Methode des USamerikanischen Schauspiellehrers Sanford „Sandy“ Meisner. „Nicht verdecken, sondern
enthüllen, wahrhaftig sein, unmittelbar, direkt – das ist dessen Ansatz, der ganzheitlich ist und sich gut mit der Methode von Kristin Linklater verträgt.“ Ihre Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer fordert sie, erarbeitet mit ihnen Texte, animiert sie, nicht einfach zu spielen, sondern sich in Situationen hineinzuversetzen und diese zu erleben.
„Manchmal machen wir Werkschauen, manchmal Produktionen. Mit den BZ-Kursen waren wir auch schon zweimal eingeladen zur Potsdamer Schlössernacht. Zuletzt haben wir eine Krimikomödie im Bleiweiß auf die Bühne gebracht.“ Offen zu sein, große Emotionen zuzulassen – darum geht es Marsha Cox bei ihrer Arbeit, für die sie nach all den Jahren noch immer so brennt wie zu Beginn. Sie will, dass die Menschen sich trauen, sich auszudrücken und Gehör zu finden – „gerade nach der Zeit der Pandemie, in der wir alle auch ein Stück weit verstummt sind“.
Autorin: Anja Kummerow