Writer in Residence: Tschechische Autorin in Nürnberg
Die Prager Autorin Alžběta Stančáková war im Dezember 2021 als Stipendiatin des Writers-In-Residence-Programm „Grenzenlos: ein mittelfränkisch-tschechischer Literaturaustausch" in Nürnberg.
Gast Autor*in |
Das literarische Aufenthaltsstipendium „Grenzenlos: ein mittelfränkisch-tschechischer Literaturaustausch" wurde 2021 von einem Zusammenschluss mehrerer Player der Metropolregion initiiert: der Akademie Faber-Castell Stein, dem Amt für Internationale Beziehungen und der Koordinierungsstelle für Literatur am Bildungscampus der Stadt Nürnberg sowie dem Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS), Regionalgruppe Mittelfranken. In Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus Prag geben sie einer Autorin oder einem Autor die Möglichkeit, einen Monat in der jeweils anderen Stadt literarisch aktiv zu werden.
Den Auftakt des Aufenthaltsstipendiums machte 2021 die Prager Dichterin und Romanautorin Alžběta Stančáková. Sie weilte im Dezember 2021 in Nürnberg. Sie gab ihr Debüt mit dem Buch „Co s tím“, für das sie 2015 den Jiří Orten Award erhielt. Texte aus der Sammlung und darüber hinaus wurden ins Deutsche, Rumänische, Polnische und Russische übersetzt. Dem deutschsprachigen Publikum wurde sie beispielsweise in den „Anthologien Šummus – Summen“ oder „Die letzte Metro: Junge Literatur aus Tschechien“ vorgestellt. Sie ist Kuratorin der digitalen Plattform für zeitgenössische Poesie „Psí víno“ und schreibt regelmäßig für die Website H70. 2022 erschien ihr zweiter Gedichtband „Čačak“.
In einem Artikel, übersetzt vom Autor Elmar Tannert, schreibt sie über ihre Erlebnisse in Nürnberg.
Text von Autorin Alžběta Stančáková
Mein Zuhause ist eine kleine Dachkammer in einer Kirche.
Abend für Abend versammeln sich Krähen auf einem Baum und krächzen. Ich beobachte sie aus meinem spitzbogigen Fenster. Wenn ich mich ein Stück weiter hinausbeuge, sehe ich auch die Türme der Lorenzkirche.
In einer profanierten Kirche zu leben hat seine Vorteile. Etwa, dass in den Stockwerken unter mir überall Büros sind, in denen die Leute werktags arbeiten. Oder dass ich direkt im Herzen von Nürnberg wohne. Und auch, dass es hier getrennte Duschen für Männer und Frauen gibt, und weil hier außer mir selten jemand ist, kann ich in der Damendusche meine eigene Seife liegen lassen, und manchmal laufe ich nur im Badetuch über den Korridor.
Ich habe mich an die Einsiedelei gewöhnt, aus der ich nur manchmal herausgerissen werde – neulich durch eine mazedonische Reisegruppe, diesen Abend wiederum von einem jungen Mann, der sich zum Abendessen zwei Tiefkühlpizzen zubereitete. Ich hätte ihm was von meinem Risotto anbieten können, die Menge hätte für ein ganzes Regiment gereicht, aber er hatte die Backröhre schon vorgeheizt, und ich hatte keine Lust, mit jemandem zu reden.
Kurz vor Tagesanbruch schneit es gewöhnlich, die Glocken schlagen und die Putzfrau fragt mich beim Schrubben, ob ich saubere Handtücher brauche. Eine gewisses Schamgefühl hielt mich davon ab, zu erwähnen, dass ich keine Ahnung habe, wie man in so einer profanierten Kirche seine Kleidung wäscht. Wollpullover lasse ich auslüften, um sie von Gerüchen zu befreien, aber der Rest meiner Garderobe kennt dieses Glück nicht und wurde deshalb allmählich modrig. Deshalb machte ich mich gemeinsam mit Daniel nach einer Woche auf den Weg zu einem Waschsalon in der Bayreuther Straße. Die schmutzige Wäsche hatte ich in eine feste weinrote Plastiktasche gepackt. Diese gehörte zum Inventar meines Zimmers, und an ihr hängt ein weißes Band mit der Aufschrift, dass man sie unter keinen Umständen aus dem Gebäude tragen darf. Daniel brachte mich mit dem Auto zum Waschsalon, aber dann musste er weiter.
Das Innere des Waschsalons soll die Atmosphäre der siebziger Jahre heraufbeschwören. Retrowände, Retrocouch und ein eiförmiger Retrosessel aus durchsichtigem, schon etwas abgeschabtem Plastik. Es ist ein SB-Waschsalon, und daher halte ich mich an ein Lied von Miroslav Žbirka, ebenfalls aus den Siebzigern, in dem er singt ich versuche, mir selber zu helfen. Eine Frau um die vierzig, die ebenfalls gerade wäscht und sich als Corinna vorstellt, klärt mich nach einer Weile über das System auf. Die Waschmaschinen und Trockner tragen Namen verschiedener Persönlichkeiten, auf die ich jedoch in meiner Angst, dass eine meiner Socken sich verfangen und die Trommel blockieren könnte, gar nicht groß geachtet hatte. Aber irgendein Koreaner hat für eine Googlerezension alle Namen abfotografiert, und daher weiß ich, dass ich meine Wäsche der alten Piepenbrink anvertraut habe, um sie danach von Uschi Obermeier trocknen zu lassen.
„Wissen Sie, wer Uschi Obermeier ist?“, fragt Corinna.
„Nein“, gebe ich zurück.
„Dafür sind Sie auch zu jung.“
„Eher zu fremd.“
„Was ist denn Ihre Muttersprache?“
„Tschechisch.“
„Ich hab mal fünf Semester Tschechisch gemacht. Aber ich kann fast garnix mehr“, sagt sie. Dann schreibt sie mir ihre Telefonnummer auf ein Stück Papier, damit ich mich melde, wenn ich mit ihr einen Kaffee trinken will. Sie hat noch eine Freundin, Gabi, und Gabi wiederum hat eine Katze, wir könnten uns alle zusammen mal sehen. Ich schaue ihr zu, wie sie ihre Wäsche aus John Wayne rausholt. Dann verabschiedet sie sich auf Tschechisch mit „nashle!“ und verschwindet.
Ich will nun also Uschi Obermeier einschalten, auch wenn ich nicht weiß, wer das ist, als mich plötzlich eine andere Frau am Ellbogen packt. Um einiges älter und kleiner als ihre Vorgängerin, in einem orangefarbenen Steppanorak und mit einer grauen Strickmütze, deren Bommel bei jeder ihrer Bewegungen nach allen Seiten hüpft. Manchmal, wenn ich hier mit jemandem spreche, kann ich nicht genau feststellen, ob der bayerische Dialekt so merkwürdig ist, oder ob man sich nicht doch besser in einer Art slawischem Deutsch anplärren sollte, das alle Worte in ein unentschlüsselbares Chaos verwandelt.
„Entschuldigung, aber ich verstehe Sie wirklich nicht.“
„Aber klar verstehst du. Also sag schon.“
Ich weiß nicht, was ich sagen soll, und erkläre ihr sicherheitshalber, dass sie die richtige Temperatur wahlen muss, und als sie mich mit den Worten unterbricht, dass es nicht wahlen, sondern wählen heißt, denke ich mir, dass der Dialekt hier wirklich ganz schön komisch sein muss – eine Ausländerin jedenfalls kann sie nicht sein, denn die hätte mich nicht auf die Art verbessert. Dann gehen wir gemeinsam den Euro für den Trockner bezahlen. Sie zieht eine Menge Kleingeld heraus, breitet es auf ihrer Handfläche aus, und ich werfe es unter ihrer Aufsicht in die Maschine. „Wir müssen fünf Mal zwanzig Cent einwerfen“, erkläre ich und klaube Zwanzigcentmünzen aus ihrer Hand.
„Das ist aber schon ein Euro zehn, oder?“
„Das Ding gibt Wechselgeld zurück“, sage ich, weil ich mir die Mühe ersparen will, ihr alles vorzurechnen.
Dann stopfen wir eine riesige violette Decke in den Trockner und setzen ihn in Gang. Meine Uschi Obermeier schalte ich erst ein, als die Dame Platz genommen hat. Sie sieht mich forschend an.
Sie fragt, woher ich komme, wie alt ich bin und was ich hier mache. Aber so fragt sie das nicht. Ihre Frage lautet nur: „Und wer bist du?“
Dafür erzählt sie mir dann auch über sich. Sie ist nicht von hier, sondern, wie sie sagt, aus Jugoslawien, ihre Muttersprache ist, in ihren Worten, jugoslawisch, und sie ist 1964 nach Deutschland gekommen.
„Schon ganz schön lang her, oder? Ich hatte dort einen Mann mit einem großen Haus, in Belgrad, aber er konnte es nicht abbezahlen, drei Stockwerke, wir haben uns scheiden lassen, ha, und jetzt hab ich in Nürnberg meine eigene Wohnung, und er guckt sich schon lang die Radieschen von unten an. Die Wohnung gehört mir. Aber Rente hab ich nicht viel. 550 Euro. In Jugoslawien gibt‘s keine Euro, sondern Dinare.“
„Ich weiß schon, ein paar hab ich im Portemonnaie, glaub ich, warten Sie, ich zeig sie Ihnen … oder nein, doch nicht, ich hab sie wohl schon rausgenommen, das hier sind Forint.“
„Forint? Mein zweiter Mann war aus Ungarn!“
„Na, sehen Sie.“
„Und du, bist du verheiratet?“
„Noch nicht.“
„Hm. Heiraten ist nicht schwer. Aber den richtigen Mann zu finden, das schon. Wie lang müssen die Sachen noch trocknen?“
„Ein bisschen noch.“
„Willst du nicht in Deutschland bleiben? Such dir hier einen Freund, dann geht das ganz einfach.“
„So haben Sie das gemacht, 1964?“
„Und dann hab ich hier gearbeitet. Als Krankenschwester. In der Klinik. Viele Jahre. Und jetzt hab ich trotzdem kaum Rente. Aber in Bělehrad ist es jetzt auch teuer.“
„Ist überall so. Aber irgendwie müssen wir leben.“
„Genau. Ist die Wäsche jetzt schon trocken?“
„Ja.“
„Ich hab daheim selber eine Waschmaschine. Aber die Decke ist ziemlich groß, die würde da nicht reinpassen. Hilfst du mir beim Zusammenlegen?“
Jede von uns beiden nimmt einen Zipfel der riesigen, gut durchgewärmten Decke in die Hand.
„Die ist noch aus Jugoslawien.“
Tatsächlich. Ich befühle die Faser und spüre den glühenden Michael-Pupin-Boulevard in Belgrad, den Kalemegdan-Park, den Neuen Friedhof und das Osttor, nein, doch nicht, das stand in den sechziger Jahren noch nicht.
„So, jetzt ist sie schön sauber für Weihnachten“, sagt sie, dankt mir für die Hilfe und stopft die Decke in ihren Einkaufstrolley.
Kaum ist sie gegangen, ist auch Uschi Obermeier fertig. Meine Wäsche ist aber immer noch etwas feucht, und ich spüre keinen Balkan an ihr, sondern nur das matschige Prag, aus dem ich sie vor ein paar Tagen mitgebracht habe. Sie ist allerdings nicht in so schlimmem Zustand, als dass ich sie nicht in die weinrote Tasche stopfen könnte, die ich dann heimlich an der Rezeption vorbeischmuggeln werde.
Als ich aus dem Waschsalon heraustrete, schneidet mir der Plastikgriff der Tasche in die Hand. Die Jugoslawin wackelt noch immer über den Gehsteig auf der anderen Straßenseite und bewegt sich langsam nach Hause. Ich wiederum nehme in meiner U-Bahn-Station versehentlich den Ausgang am entgegengesetzten Ende, muss wieder zurückgehen und stehe schließlich an der Lorenzkirche. Ein Mann, wahrscheinlich ein Rumäne, spielt auf einer Panflöte ein Lied von Gheorghe Zamfir. Ich will ihm Kleingeld hinwerfen; dumm nur, dass neben seinen Beinen keine Mütze liegt, sondern bloß ein schmuddliges altes Kondom.