Auf der Bühne, auf Reisen oder am Herd: Für sie gibt es keine Barrieren
Drei Teilnehmende erzählen, warum sie dem BZ seit Jahren treu bleiben
Gast Autor*in |
Jörg Kloss
Jörg Kloss kann in mehrerlei Hinsicht als „treue Seele“ bezeichnet werden. Seit 1986 arbeitet der gebürtige Nürnberger bei noris inklusion. Ebenso lang nimmt er an Kursen und Projekten des Bildungszentrums teil. Beständigkeit ist ihm wichtig und tut ihm gut – auch barrierefrei lernen und teilhaben zu können, weiß Jörg Kloss zu schätzen.
Seit seiner Kindheit leidet der heute 56-Jährige am Tourette-Syndrom, einer Nervenerkrankung, die sich unter anderem so ausdrückt, dass er mitunter unkontrolliert Laute und Geräusche von sich gibt. Das hält ihn nicht davon ab, sich am BZ überall dort einzubringen, wo ihn seine Interessen hinziehen. Und die vielen Menschen, die ihn kennen, haben sich längst an ihn gewöhnt. Daher fühlt er sich die meiste Zeit nicht eingeschränkt durch seine Behinderung.
Von Beginn an gehörte Jörg Kloss zum Stamm-Ensemble des 1998 gegründeten Theaters Dreamteam. Das ist ein Projekt von Menschen mit und ohne Behinderung, das seine Stücke im Rahmen des Bildungszentrums im Bildungscampus Nürnberg (BZ) und in Kooperation mit noris inklusion sowie dem Gostner Hoftheater einübt und aufführt.
Hier hatte der in St. Leonhard aufgewachsene Jörg Kloss schon viele Rollen inne. Unter anderem spielte er einen Forscher und einen Drogendealer. Auch war er viele Jahre Redaktionsmitglied beim Sprachrohr, einer einst gedruckten
Zeitschrift des BZ, die 40 Jahre lang über die Belange von Menschen mit Behinderung informierte und überwiegend von den Betroffenen selbst erstellt wurde. Hier schrieb Jörg Kloss Artikel über sein Leben mit Tourette- Syndrom und was das für ihn im Alltag bedeutet, oder über seinen langen Weg, unabhängig zu leben – vom „Hotel Mama“ zu einer inklusiven Wohngruppe.
Kurzzeitig konnte das Sprachrohr, das zuletzt eine Auflage von 5500 Exemplaren hatte und kostenlos verteilt wurde, als Internetportal weitergeführt werden. „Zu viel Stress. Ich habe so viel zu tun: Meine Arbeit, das Theaterspielen und was ich sonst noch am BZ mache.“ So nahm er im Laufe der Zeit immer wieder an Kochkursen am BZ teil. Ob Gerichte mit oder ohne Fleisch: Jörg Kloss stand grundsätzlich gern am Herd. „Das hat mir aber nicht so viel Spaß gemacht wie das Schauspielern“, resümiert er. Auch an Filmprojekten des BZ nahm er teil. In den Workshops wurden Rollen verteilt, Dialoge eingeübt und es entstanden 20 bis 35 Minuten lange Filme.
„Ich habe am BZ nur gute Erfahrungen gemacht“, sagt Jörg Kloss, der sich von den Dozentinnen und Dozenten durchweg akzeptiert fühlt und vorhat, „so lange mitzumachen, wie mein Körper mitmacht“. Demnächst gehen übrigens die Proben für das neue Stück am Theater Dreamteam an den Start. Wie es heißen wird, ist noch geheim. Nur so viel verrät Jörg Kloss: „Ich spiele einen Hellseher!“
Dr. Annegret Lorenz
Als Dr. Annegret Lorenz ab den 1980er Jahren immer mehr an Sehvermögen verlor, wurde das Bildungszentrum für sie zum Rettungsanker. „Ich war plötzlich raus aus dem Berufsleben, konnte fast nichts mehr sehen und war kurz davor, depressiv zu werden“, schildert die Wahl-Nürnbergerin.
1948 in Norddeutschland geboren, studierte sie später Tiermedizin und promovierte in Tübingen. Im Raum Ansbach arbeitete sie viele Jahre als Landtierärztin, bevor sie von einer fortschreitenden Hornhauttrübung ausgebremst wurde und ihren Beruf nicht mehr ausüben konnte. Mit einer starken Lupe ist sie noch heute in der Lage, das Programmheft des BZ zu lesen.
„Ich bin ein vielseitig interessierter Mensch und wählte mir damals alle möglichen Kurse am Vormittag aus – nicht nur barrierefreie. Das war für mich wie Therapie. Ich musste früh aufstehen und rausgehen. Mein Tag bekam Struktur; das war für mich Depressionsbekämpfung.“ Sie besuchte Französisch-Kurse, Vorträge über Politik und Geschichte, wo leidenschaftlich diskutiert wurde, nahm Sportangebote wahr, um körperlich fit zu bleiben, und buchte Selbstfindungs- und Selbstwahrnehmungskurse sowie Yoga. So lernte sie einen Psychotherapeuten
kennen, der ihr in der Folgezeit half, mit ihrem Schicksal klarzukommen.
Gut 100 Veranstaltungen dürften es mittlerweile gewesen ein, an denen sie in den vergangenen 40 Jahren teilgenommen hat. Bis heute besucht Annegret Lorenz Literaturmittage am BZ. Mit Hörbüchern bereitet sie sich auf die Besprechung der Lektüre vor. „Die Dozentin sucht eigens Bücher aus, die es auch in Hörversion gibt“, sagt sie dankbar. So manche Bekanntschaft zu anderen Teilnehmenden entstand im Laufe der Jahre, auch wenn man sich außerhalb des Bildungszentrums selten trifft. Seit jeher kommt Annegret Lorenz mit der U-Bahn zum BZ; Selbstständigkeit hat für sie Priorität. Deshalb lebt sie mit ihren beiden Katzen Trixi und Rosina allein in der Wohnung, hat aber Studierende zur Untermiete. Das Konzept „Wohnen gegen Hilfe“, bei dem ihr die jungen Leute etwas zur Hand gehen, passt in ihr Leben. „Nur Katzen zu streicheln, ist mir zu langweilig“, lacht sie und fügt hinzu: „Humor hat mir immer geholfen!“
Gern besucht Annegret Lorenz Kunstvorträge. „Da werden manchmal Bilder gezeigt, die ich zwar nicht sehen kann, die aber vom Dozenten so lebendig beschrieben werden, dass ich sie mir vorstellen kann.“ Auch hat sie schon an Opernnachmittagen teilgenommen sowie bei Tagesausflügen oder mehrtägigen Fahrten des BZ nach Wien oder in den Harz. Lobend erwähnt sie, dass es dabei vom BZ gestellte Begleitpersonen gab, und dass behinderte Menschen mit einem „B“ im Ausweis zu bestimmten Veranstaltungen Begleitpersonen mitbringen können, die dann freien Eintritt haben. Sogar während der Pandemie nahm Annegret Lorenz am BZ Angebote wahr: „Alles, was ging.“
Doch wer glaubt, dass sich die 76-Jährige „nur“ dem lebenslangen Lernen verschrieben hat, irrt. Seit 16 Jahren ist sie bei der Telefonseelsorge tätig und hört im Altenheim ehrenamtlich Seniorinnen und Senioren zu.
Herbert Bischoff
Wenn jemand am BZ als „Urgestein“ bezeichnet werden kann, dann Herbert Bischoff. Seit 50 Jahren gehört er zur Vertretung der Teilnehmenden oder, wie es früher hieß, zur „Hörervertretung“. Hier setzt er sich für die Belange von
Menschen mit Behinderungen ein, fungiert als Mittler zwischen Teilnehmenden und BZ, wenn es um barrierefreies Lernen und Inklusion geht.
Von Geburt an ist Herbert Bischoff spastisch gelähmt. Im Alltag geht er an Krücken, ein Rollstuhl kommt für ihn nicht infrage: „Ich möchte so lange es geht beweglich bleiben“, sagt der heute 69-Jährige. 1955 in Memmingen geboren, kam er als Jugendlicher nach Nürnberg, arbeitete zunächst in Werkstätten und danach unter anderem beim Energieversorger EWAG, heute N-ERGIE.
1974 belegte er seinen ersten Kurs am BZ, einen Schreibmaschinen-Kurs. Auch Englisch wollte er am BZ lernen, doch das frustrierte ihn: „Ich war nicht so sprachbegabt, wie ich dachte“, schmunzelt er. Sehr gut findet er, dass Menschen mit Behinderung bis heute aktiv von Mitarbeitenden des BZ aufgesucht werden, um sich für Kurse anmelden zu können.
Herbert Bischoff nahm im Laufe der Jahre noch viele weitere barrierefreie Angebote wahr: Computerkurse oder offene Gesprächskreise. Außerdem reiste er mit dem BZ nach Paris, Nizza und Krakau – betreut von Begleitpersonen des BZ. Lässt er die Jahre Revue passieren, so erinnert er sich gern an die Aufführungen der integrativen Theatergruppe Dreamteam, die er als Zuschauer genoss: „Ich habe nur wenige Stücke verpasst!“
Zeitweise brachte er sich als Ideengeber beim Sprachrohr ein, der damaligen Zeitschrift des BZ für behinderte Menschen. „Indem ich mich beim BZ engagierte, habe ich an Selbstständigkeit gewonnen“, sagt Herbert Bischoff. In seinen Ehrenämtern geht er auf. Neben seiner Tätigkeit als Teilnehmendenvertreter ist er Delegierter für das BZ im Behindertenrat der Stadt Nürnberg. „Ich konnte Vorschläge machen, als es um den neuen Veranstaltungsort südpunkt ging. Mir ist wichtig, dass die Kursorte rollstuhlfreundlich und gut zu erreichen sind,“ erklärt der 69-Jährige. „Manchmal sind die Aufzüge in den U-Bahn-Stationen störanfällig. Da arbeiten wir vom Behindertenrat mit der VAG zusammen.“
Schließlich gilt es, allen Menschen Teilhabe – auch am Programm des BZ – zu ermöglichen. Daher sei auch der schon vor Jahren etablierte Fahrdienst am BZ für Menschen, die nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen können, unentbehrlich. Ein weiteres Thema, das Herbert Bischoff am Herzen liegt, ist die Leichte Sprache. „Das wird immer wichtiger, denn viele Menschen haben mehrere Einschränkungen – oft körperliche und geistige. Da müssen Programmtexte oder Informationen so geschrieben sein, dass man sie verstehen kann.“
Es den Menschen mit Behinderung generell leicht zu machen, das ist Herbert Bischoffs Anspruch. Doch was Barrierefreiheit betrifft, sei im öffentlichen Leben noch viel Luft nach oben, sagt er und nennt als Beispiel die Beschriftung von Objekten in Museen. Dass am BZ ein eigener Bereich barrierefrei lernen – nicht nur für behinderte Menschen“ mit engagierten Mitarbeitenden und vielseitigen Angeboten existiert, hält er für unverzichtbar. Für Herbert Bischoff steht fest: „Ich bleibe dem BZ immer treu.“
Text: Susanne Stemmler