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Bühne frei für das Dreamteam! Spielend Barrieren überwinden

Partizipation, Empowerment, Inklusion, Teilhabe: Als erste Volkshochschule in Deutschland setzte Nürnberg 1974 auf Erwachsenenbildung für behinderte Menschen – und hat hier immer noch die Nase vorne, was Angebot und praktische Umsetzung angeht. Es ist ein Programm im Programm, eine eigene kleine Welt im riesigen BZ-Angebot: Allein im Bereich „barrierefrei Lernen“ werden pro Jahr 300 Veranstaltungen angeboten, die in nicht-pandemischen Zeiten von 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern besucht werden. Auch nach 47 Jahren ist dieses Angebot das größte seiner Art bundesweit und konnte in Pandemiezeiten weitgehend aufrechterhalten werden.

Gast Autor*in |

Bildungszentrum

Partizipation, Empowerment, Inklusion, Teilhabe: Als erste Volkshochschule in Deutschland setzte Nürnberg 1974 auf
Erwachsenenbildung für behinderte Menschen – und hat hier immer noch die Nase vorne, was Angebot und praktische Umsetzung angeht. Es ist ein Programm im Programm, eine eigene kleine Welt im riesigen BZ-Angebot: Allein im Bereich „barrierefrei Lernen“ werden pro Jahr 300 Veranstaltungen angeboten, die in nicht-pandemischen Zeiten von 3.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern besucht werden. Auch nach 47 Jahren ist dieses Angebot das größte seiner Art bundesweit und konnte in Pandemiezeiten weitgehend aufrechterhalten werden.

Das Kursangebot bei „barrierefrei Lernen“ spiegelt die komplette Bandbreite des BZ. Es gibt Schreib- und Lesekurse, man kann Fremdsprachen lernen und Computerkurse belegen. Man kocht und wandert, macht Musik und Yoga, geht ins Theater und fährt in den Urlaub. Manche Kurse wenden sich gezielt an Behinderte: „Selbstständige Haushaltsführung“ etwa oder „Gymnastik für Brustamputierte“. „Es gibt keine Personengruppe, die nicht an diesem Bildungsangebot beteiligt ist“, sagt Michael Galle-Bammes, Leiter des Bereichs „barrierefrei Lernen“, nicht ohne Stolz. Der heute 58-Jährige fand einst über den Zivildienst zum Thema. In einer Behindertenwerkstatt in Boxdorf lernte er einen lernbehinderten Mann kennen, der Schreibmaschine schreiben und Teppiche knüpfen konnte, aber kaum Freizeitmöglichkeiten in der Stadt kannte. Also nahm Galle-Bammes ihn mit. Es blieb nicht bei dem einen Ausflug. Kontakte zum BZ wurden geknüpft, und als dort 1991 eine halbe Stelle frei wurde, bewarb sich der Diplompsychologe.

 

“Als ich geboren wurde, wurden behinderte Menschen noch als ein Problem gesehen. Selbst die Schulpflicht für behinderte Menschen kam erst 1962. Es war eine Zeit, in der die Aufarbeitung der Euthanasie ausgebremst wurde – oftmals von Leuten in der Stadtverwaltung, die schon in Nazideutschland dort gearbeitet hatten.”
Michael Galle-Bammes

Heute wirbt das BZ Nürnberg mit dem Slogan „Wir öffnen Welten!“. Barrierefreiheit heißt das Zauberwort: Egal welche Behinderung jemand hat – körperlich, geistig, psychisch – er oder sie soll lernen können, was er oder sie will. Das Angebot allein reicht aber nicht: 30 Prozent der Teilnehmer benötigen zum Kursbesuch eine Beförderung. Auch in den Kursen selbst stellen sich Fragen: Braucht es technische Hilfsgeräte, etwa um für Sehbehinderte die Schrift zu vergrößern und für Schwerhörige elektrische Signale zu senden? Ist ein Gebärdendolmetscher nötig? Geld spielt ebenfalls eine Rolle. Viele Menschen mit Behinderung leben trotz Arbeit in sehr eingeschränkten finanziellen Verhältnissen. Hier sind moderate Preise und sinnvolle Ermäßigungen gefragt. Nimmt man die Worte „selbstbestimmt“ und „selbstwirksam“ ernst, dann muss es eine einfache Beschwerdemöglichkeiten geben – und ein Beschwerdemanagement. Auch ist zu beobachten, dass gerade ältere behinderte Menschen Angebote nur in ihrem vertrauten Umfeld wahrnehmen. Also kommt das BZ zu ihnen. Helfen sollen bei all diesen Fragen die drei zentralen Leitvorstellungen, die seit dem Studienjahr 2005/2006 gelten: „Wir ermöglichen behinderten Menschen Bildung, Selbstbestimmung und erfolgreiches Lernen und beziehen dabei alle in die Angebote mit ein: Menschen mit und ohne Behinderung beziehungsweise mit Unterstützungsbedarf. Wir unterstützen und beraten behinderte Erwachsene, deren Angehörige und in der Behindertenarbeit Tätige.“ Der Erfolg gibt dem BZ recht. „Die in Nürnberg ermöglichte Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben hilft vielen Teilnehmern bei der Bewältigung ihrer Behinderung und trägt erheblich zur Lebensqualität bei“, sagt Galle-Bammes. Ständig wird nachgebessert – oft an Kleinigkeiten:
Etwa dass bei der Anmeldung die Behinderung egal ist, weil so eine Etikettierung die Kursleiter unbewusst beeinflussen könnte. Oder dass das Personal an der Pforte stets Zettel und Stift parat hat – für gehörlose Kursleiter,Teilnehmer und Interessenten.

Eine besondere Blüte im Programm „barrierefrei Lernen“ ist das Theater Dreamteam, das weit über das BZ hinaus wirkt. Hier geht es nicht um niederschwelligen Zugang zu Kultur – die Kultur wird selbst gemacht. Die Initiative kam auch hier von Michael Galle-Bammes, der das Projekt mit Dreamteam-Hausregisseur Jürgen Erdmann anschob. Ursprung war ein Theaterkurs am BZ, der bei Sommerfesten in den Behindertenwerkstätten kurze Einlagen gab. Doch Erdmann und Galle-Bammes, die beide aus der Theaterecke kamen, wussten: Da geht noch viel mehr! Vorbild waren Städte wie Bremen, Würzburg und München, wo länger schon Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam Theater spielten, teils sogar auf eigenen Bühnen. Initialmoment war, als das BZ 1998 an den Gewerbemuseumsplatz zog. „Da haben wir viel Denkarbeit reingesteckt und ein richtiges Eröffnungsstück aufwändig inszeniert“, sagt Galle-Bammes. „Mit Erfolg: Neben vielen Menschen aus der Theaterszene war damals auch das Team des Gostner Hoftheaters da, mit dem wir seither zusammenarbeiten.“ Im Hubertussaal am Dianaplatz kann das
Dreamteam unter Theaterbedingungen proben und auftreten. 13 aktive Schauspielerinnen und Schauspieler umfasst der harte Kern, dazu kommen jede Menge Statisten, Helfer und Freigeister, die begeistert mitwerkeln. Alle zwei Jahre gibt es ein neues Stück, jedes Mal kommen mehr Zuschauer. Hier wird Inklusion gelebt, es gibt keine Unterschiede zwischen „behindert“ und „nichtbehindert“. Michael Galle-Bammes: „In der Regel wissen erstmalige Besucher der Stücke anfangs nicht, ob sie lachen dürfen – und rätseln noch am Ende, welcher Schauspieler denn nun behindert war.“ Als 2013 der Fürther Kabarettist Matthias Egersdörfer zum Dreamteam stieß, brachte das erneut einen Popularitätsschub. 2020 erhielt die inklusive Theatergruppe den Kulturpreis der Stadt Nürnberg. Auch mit ihrer aktuellen Inszenierung zeigt sie sich auf der Höhe der Zeit: „Die Nudelpest“, eine pandemische Komödie, ist tragisch und komisch zugleich.

Das Theater Dreamteam
Beim Theater Dreamteam wird Inklusion gelebt – es gibt keine Unterschiede. Was hier zählt, ist allein die Spielfreude. / © Uwe Niklas

Auch wenn viel erreicht wurde – der Blick geht nach vorne. Ein flächendeckendes Angebot an Erwachsenenbildung für Menschen mit Behinderung bleibt das Ziel. Und: Es sind noch immer nicht alle Barrieren in den Köpfen niedergerissen. 100 Jahre BZ Nürnberg – kein Anlass, sich zurückzulehnen. „Ja, da muss man ein Auge drauf haben“, sagt Galle-Bammes. Zwar stehe die Stadt dem Projekt wohlwollend gegenüber, doch dieses koste natürlich. Der Bereichsleiter meint: „In den kommenden Jahren steht die Stadt vor großen Herausforderungen. Es wird interessant, wie und wo da gespart wird.“ Natürlich ist es von Vorteil, wenn das Stadtoberhaupt – wie seinerzeit Ulrich Maly – selbst Zivildienst an einer Schule für behinderte Menschen geleistet hat. Doch auch der neue OB Marcus König findet im Interview mit der inklusiven Zeitung „Sprachrohr“ (die in einem BZ-Kurs redaktionell erstellt wird und halbjährlich
kostenlos erscheint) deutliche Worte: „Inklusion schafft keine Sonderrechte, sondern ist ein Menschenrecht. Wir haben eine gesetzliche Verpflichtung, inklusiv zu agieren. Das ist auch mir persönlich sehr wichtig.“

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