Herzensstücke – Kostbares und Kurioses in den historischen Sammlungen der Stadtbibliothek
Die Vortragsreihe zu seltenen und kostbaren Schriftdenkmälern, die verborgen in geschützten Depots aufbewahrt werden, ist im Jahr 2022 erfolgreich wiederaufgenommen worden.
Bildungscampus Nürnberg |
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Historisch-Wissenschaftlichen Stadtbibliothek stellen jeweils ein Lieblingsstück aus ihrer persönlichen Sicht und vor dem Hintergrund ihres Fachwissens vor. Die Teilnehmenden haben dabei die seltene Gelegenheit, die präsentierten Schätze auch aus der Nähe betrachten zu können – und genießen nicht nur das Erlebnis der Aura von alten Schriftwerken, sondern loben auch die kurzweiligen und spannenden Einführungen: „Man merkt“, so schrieb eine Besucherin, „dass Sie Herz und Leidenschaft für diese Bücher haben!“.
Aus gegebenem Anlass: Ein Schembartbuch gewährt Einblick in Fastnachtsbrauchtum in Nürnberg
Spektakulärer Bestandteil des Fastnachtsbrauchtums in Nürnberg war zwischen 1449 und 1539 der sogenannte Schembartlauf: In prächtigen Kostümen, die Gesichter verdeckt durch Masken mit glatten jugendlichen Zügen (Schönbart = Schembart), liefen vornehmlich Mitglieder des Patriziats durch die Gassen und zündeten mit unter grünen Zweigen verborgenen Pistolen Feuerwerke aus Blitz und Donner. Unter diese Läufer mischten sich Narren und in Felle gekleidete Wilde Leute. Höhepunkt und Abschluss des Treibens bildete die Stürmung eines seit 1475 mitgeführten hölzernen Schlittens und dessen anschließende Verbrennung auf dem Hauptmarkt.
1539 beteiligten sich insgesamt 150 Läufer in Hosen und Wämsern aus weißem Atlas mit gelben und violetten Schnitten am Lauf. Auf dem mitgeführten Schiff befand sich unter Narren und Teufeln eine als Pfaffe in schwarzem Gewand gekleidete Figur, die unmissverständlich als der Prediger an St. Lorenz, Andreas Osiander d.Ä. (1496-1552), erkennbar war: Ein übergroßer Schlüssel verweist auf einen seit 1533 schwelenden Konflikt zwischen dem maßgeblich an der Einführung der Reformation beteiligten Theologen und dem Rat. Im Streit um die Schlüsselgewalt – also die Macht, Sünden zu lösen und zu behalten sowie den Kirchenbann auszusprechen – hatte Andreas Osiander diese für den protestantischen Klerus reklamiert und den Konflikt in Predigten unter das Volk getragen. Letztendlich musste er die vom Rat propagierte allgemeine Absolution akzeptieren, verfügte aber noch über ausreichend Autorität, um nach seiner Verspottung die Abschaffung des Schembartlaufs zu erwirken.
Erst nach diesem Zeitpunkt entstanden die sogenannten Schembartbücher, von denen sich weltweit rund 80 Exemplare erhalten haben. Als Bilderchroniken dokumentieren sie die Läufe, die dabei getragenen Kostüme und die mitgeführten Schlitten – und dienen dabei gleichzeitig der Selbstdarstellung des Patriziats. Für den Termin wählte Christine Sauer, Leiterin der Historisch-Wissenschaftlichen Stadtbibliothek, das schönste von zwölf in der Stadtbibliothek aufbewahrten Schembartbüchern aus. Die farbenfrohen, mit Gold gehöhten Bilder lassen ein Studium der erfindungsreichen Verkleidungen bis ins Detail zu.
Individuelle Stücke aus der Fränkischen Literatursammlung bieten 20 Zuhörern ungewöhnlich „greifbaren“ Zugang zu Leben und Werk fränkischer Autoren
In der Vortragsreihe „Herzensstücke“ standen im März 2022 ausgewählte Materialien der Fränkischen Literatursammlung im Mittelpunkt.
Das „Institut für fränkische Literatur“ bestand nur acht Jahre (1964-1972) an der Stadtbibliothek Nürnberg. Akribisch wurden damals neben den Büchern auch ergänzende Materialien zu Leben und Werk fränkischer Schriftsteller und Schriftstellerinnen gesammelt: Porträts und Lebensläufe, Manuskripte und Handschriftenproben, Werkverzeichnisse, Zeitschriftenaufsätze, Zeitungsartikel, Buchbesprechungen und Verlagsinformationen; sogar eine Totenmaske und eine Büste gelangten in der Bibliothek.
Nach der Auflösung des Instituts wurde die Sammlung belletristischer Werke fränkischer Autoren und Autorinnen weitergepflegt, die übrigen Dokumente schlummerten in ca. 120 Archivkartons, 25 Leitzordnern und 800 Korrespondenzmappen jahrzehntelang fast unbeachtet im Bibliotheksmagazin.
Derzeit wird dieses Material von Restauratorinnen und Bibliothekarinnen der Historisch-Wissenschaftlichen Stadtbibliothek gesichtet, umgeordnet, fachgerecht neuverpackt und im Katalog (OPAC) erschlossen.
Das interessierte Publikum erhielt einen Einblick in die laufenden Erhaltungs- und Erschließungstätigkeiten. Präsentiert wurde eine Auswahl an Dokumenten und Unterlagen aus dem gerade bearbeiteten Bestand.
Für die knapp 20 Zuhörer entpuppte sich dabei der Inhalt der langweilig-grauen Archivkartons nach und nach als authentische und spannende Quellen zur Annäherung an drei ganz unterschiedliche Schriftsteller-Persönlichkeiten aus dem fränkischen Raum: Friedrich Bröger (1912-1973), Dramaturg und Verfasser des Prologs des Nürnberger Christkinds; Horst Wilhelm Blome (1937-2021), Kabarettist und politischer Aktivist; Friedrich Keim (1884-1972), Seefahrer und Kleinbauer.
Kettenbücher im Mittelalter
Bei der Veranstaltung im Mai 2022 präsentierte die Buchrestauratorin Sonja Hassold eines ihrer Lieblingsstücke, ein mittelalterliches Kettenbuch. Der Holzdeckelband wurde zum Zwecke des Diebstahlschutzes mit einer dicken Eisenkette versehen. Die Kette ist am hinteren Buchdeckel an einer Öse befestigt und verlief ursprünglich zu einer Metallstange, die entlang eines Lesepultes angebracht war.
In den Beständen der Stadtbibliothek Nürnberg befinden sich insgesamt noch drei Kettenbücher – drei von ehemals vielen mittelalterlichen Holzdeckelbänden, die an Ihrem ursprünglichen Standort Teil einer Kettenbibliothek waren. Zwei der drei gezeigten Inkunabeln stammen aus dem 1562 aufgelösten Franziskanerkloster in Nürnberg. Im späten 16. Jahrhundert wurden die Ketten in fast allen Fällen mitsamt den Beschlägen und Schließen von den Büchern entfernt. Bei der damals erfolgten Aufstellung der Bände in Regalen hätten die überstehenden Metallteile ein problemloses Herausnehmen der Bücher aus den Regalen behindert.
In Kettenbibliotheken wurden die schweren Holzdeckelbände in der Regel auf Pulten oder in sich darunter oder darüber befindlichen Regalfächern aufbewahrt und natürlich dann auch vor Ort am Pult gelesen. So wurde neben der Diebstahlsicherung auch die thematische Ordnung auf den Lesepulten bewahrt.
Anhand der Geschichte der Nürnberger Ratsbibliothek im 16. Jahrhundert wurde den verschiedenen Kettenbibliotheken aus den Nürnberger Klöstern nachgespürt. Als Ausblick wurden Beispiele von noch existierenden Kettenbibliotheken, historischen Lesepulten und Abbildungen von ehemaligen Pultbibliotheken in Europa des 16./17. Jahrhunderts gezeigt.