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Die Forschungsarbeiten im All vereinfachen das Leben auf der Erde

Missionsleiter Volker Schmid beim Nicolaus-Copernicus-Symposium

Gast Autor*in |

Planetarium

Volker Schmid war Missionsleiter der deutschen Astronauten Alexander Gerst und Matthias Maurer bei ihren Flügen zur Raumstation ISS. Im Interview spricht er über Wissenschaft im Weltall, die Herausforderungen für den menschlichen Körper und einen möglichen Flug zum Mars.

 

Wollten Sie als Kind Astronaut werden?
Ja, natürlich. Mich haben Captain Kirk und Neil Armstrong motiviert. Der Traum, Astronaut zu werden, war dann doch nicht ganz erreichbar, aber immerhin bin ich mit meiner Tätigkeit sehr nah dran – und als Wissenschaftler ist es quasi gelungen.


Sie waren Missionsleiter der ISS-Missionen von Alexander Gerst und Matthias Maurer. Was macht ein Missionsleiter eigentlich?
Viel Management und Koordination. Eigentlich sind das ja Missionen der ESA, also der europäischen Raumagentur, mit aktuell 22 Mitgliedstaaten. Aber wenn ein deutscher Astronaut zur ISS fliegt, hat er natürlich auch deutsche Experimente im Gepäck. Vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), von Hochschulen, von Unis, von der Industrie. Das
alles sinnvoll zusammenführen, ist eine der Aufgaben des Missionsleiters.

 

Welche gibt es noch?

Natürlich auch Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, Charity, Nachwuchsförderung. Der Mission Manager ist das Gesicht einer Mission am Boden und Ansprechpartner für alle deutschen Belange der Mission. Und man spricht alles ab mit dem Astronauten, er muss für die meisten Experimente auch speziell trainieren. Wir vom DLR haben uns auch regelmäßig im gemeinsamen Team der ESA zusammengesetzt. Dort wurde etwa der Planungsfortschritt besprochen, auch die Dokumente zur Flugsicherheit, die Zuteilung der Crewzeit und vieles mehr.


Sie haben von Experimenten gesprochen – was kann man sich darunter vorstellen?
Zunächst muss man sagen: Wir gehen nicht zum Selbstzweck ins All, wir forschen. Wir gehen also für die Erde ins All. Auf der ISS kann ich Experimente machen, die ich in keinem Labor auf der Erde durchführen kann. Weil wir hier keine permanente Schwerelosigkeit erzeugen können oder andere Parameter nicht gegeben sind. Die Raumstation fliegt um die Erde mit etwa 7,8 Kilometern pro Sekunde – und das noch innerhalb des Erdmagnetfelds. Das sind Bedingungen, die kann ich auf der Erde nicht herstellen.

Start der Blue Dot-Mission von Alexander Gerst / © NASA

Und welche Experimente werden dann durchgeführt?
Wir haben zum Beispiel einen Schmelzofen auf der ISS, mit dem man berührungslos verschiedene Metalllegierungen aufschmelzen kann, die in einem Magnetfeld gehalten werden. Dadurch lassen sich verschiedene Daten wie etwa die Viskosität oder die Schmelzwärme messen. Diese Daten gehen auf der Erde in Computermodelle ein. Das verbessert Fertigungsprozesse, wenn es um großtechnische Herstellung neuer Legierungen, zum Beispiel für Motorblöcke oder Gussteile geht. Wir hatten 2018 das Projekt CIMON. Das ist ein kugelförmiger, fliegender Roboter mit Sprachsteuerung und Gesichtserkennung, der die Astronauten bei Routineaufgaben unterstützen soll. Dafür gab es viele international renommierte Preise. Wir waren damit die Ersten, die mit KI auf der Raumstation gearbeitet haben. CIMON navigierte selbstständig, hatte Kollisionssensoren und war sprachgesteuert. Das alles ist unter Weltraumbedingungen nicht ganz einfach.

 

Welche Bedingungen herrschen überhaupt auf der ISS?
Es ist laut und man hat permanente Schwerelosigkeit. Die kommt durch den permanenten freien Fall um die Erde. Könnte man da oben anhalten und sich auf eine Waage stellen, würde man feststellen, dass man nur rund zehn Prozent leichter ist als auf der Erde. Man ist also noch stark im Schwerefeld der Erde, die Schwerelosigkeit entsteht nur durch den freien Fall. Dort ist die Zentrifugalkraft im Gleichgewicht mit der Erdanziehungskraft. In den Laboren herrscht eine normale Umgebungstemperatur, etwa 22 Grad. Man kann also im Poloshirt arbeiten. Ventilatoren stellen sicher, dass die Luft zirkuliert. Das Wasser wird zu über 90 Prozent wiederverwendet. Die Astronauten sagen immer: Der Tee von heute ist der Kaffee von morgen. Und das ist wirklich so, das geht auch immer besser – und ist übrigens auch ein Verfahren, das wir auf der Erde gebrauchen können.

 

Was bedeutet das alles für den menschlichen Körper?
Die ISS-Astronauten sind ja immer etwa sechs Monate im All. Wenn man da keinen Sport macht, sich nicht bewegt, bauen sich Muskeln und Knochen sehr schnell ab. Das Immunsystem ist auch herausgefordert, weil es all die neuen Eindrücke bewältigen muss. Es ist etwa 70 bis 73 Dezibel laut, und ein Fenster zum Lüften aufmachen geht ja nicht. Das müssen das Immunsystem und die Psyche verarbeiten. Außerdem schwebt man, nimmt eine Embryonalhaltung ein. Das Herz muss somit weniger pumpen, die Flüssigkeiten verlagern sich in die Körpermitte. Außerdem ist der Gleichgewichtssinn ausgeschaltet. Die ersten Tage können daher durchaus Symptome wie bei einer Seekrankheit hervorrufen.

 

Auf der ISS arbeiten internationale Teams.Wie gut funktioniert da die Zusammenarbeit, gerade wenn man an irdische Krisen wie den Krieg Russlands gegen die Ukraine denkt?
Auf der ISS funktioniert es gut. Die Abhängigkeiten an Bord sind groß. Die Amerikaner liefern den Strom, die Russen einen Teil des Datenmanagements. Da kann niemand sagen, ich lasse euch jetzt mal alleine laufen. Und unten funktioniert es auch. Die ISS ist ein hervorragendes Kooperationsmodell, das muss man wirklich sagen. Inzwischen fliegen die Amerikaner auch wieder mit den Russen und umgekehrt. Nach Kriegsbeginn gab es allerdings mal eine frostige Phase in der Kommunikation. Die Raumfahrt ist aber in solchen Krisen immer auch ein Sprachkanal.

Volker Schmid, Jahrgang 1963, absolvierte eine Lehre als Feinmechaniker und studierte anschließend Luft- und Raumfahrttechnik an der FH Aachen. Er absolvierte seinen Master of Space Systems Engineering an der TU Delft (Niederlande). Seit 28 Jahren arbeitet er am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), von 2011 bis 2023 u.a. als Missionsleiter. In dieser Funktion war er auch für die deutschen Belange bei den ISS-Missionen der deutschen ESA-Astronauten Dr. Alexander Gerst und Dr. Matthias Maurer verantwortlich. Seit 1. Juni 2023 ist er Referent und Berater für Raumfahrt im Stab der Vorstandsvorsitzenden des DLR e.V. / © DLR

Sie haben vorhin viel über Wissenschaft gesprochen. Ist es aber nicht so, dass der Mensch auch der Faszination wegen in den Weltraum strebt?
Ganz genau. Michael Collins, Besatzungsmitglied von Apollo 11, wurde mal gefragt, was denn die Quintessenz des Ganzen sei, reduziert auf einen Satz. Er hat gesagt: „It is all about leaving the Earth.“ Es geht also darum, die Erde zu verlassen. Forscherdrang, Faszination und Neugier sind wichtige Faktoren in der Raumfahrt. Die Raumfahrt ist auch ein probates Mittel für die Menschheit, um im kosmologischen Sinne erwachsen zu werden. Viele Astronauten sagen ja: „Hört auf mit den Konflikten, wir sehen von hier oben keine Grenzen! Wir sehen nur die negativen Auswirkungen, die unser menschliches Tun hervorruft. Wir müssen zusammenarbeiten und unseren Planeten schützen.“
 

Wie sieht die Zukunft der Raumfahrt aus?

Aktuell ist es ja ein großer Aufwand für Menschen, ins All zu fliegen. Momentan entfallen etwa 70 Prozent des Aufwands und der Kosten auf den Transport. Ich muss ja erstmal das Schwerefeld der Erde überwinden, dazu brauche ich Raketen. Da kann uns das Starship-Projekt von Elon Musk vielleicht helfen, damit kann man zukünftig
deutlich höhere Nutzlasten zu niedrigeren Kosten ins All bringen. Dann muss man nicht so oft fliegen. Auf der anderen Seite muss die Technologie in der Zukunft natürlich extrem robust sein. Man stelle sich vor, ich fliege zum
Mars und habe eine Missionsdauer von etwa 600 bis 1000 Tagen. Da darf nichts schiefgehen. Und wenn doch etwas schiefgeht, muss ich in der Lage sein, die Probleme an Bord zu lösen. Wenn ich eingeschossen bin Richtung Mars,
kann ich nicht mehr abbrechen. Ich muss hin, um wieder zurückzukommen. Das macht es auch psychologisch anspruchsvoll. Auf dem Flug zum Mars ist die Erde irgendwann nur noch ein Lichtpunkt unter vielen Sternen.

 

Aber wahrscheinlich wird man solche Missionen trotzdem nicht nur Maschinen überlassen wollen?
Ja. Der vermeintliche Konflikt zwischen Mensch und Maschine existiert so nicht. Sie sind idealerweise ein Team. Roboter und Sonden werden Vorreiter der Exploration sein, aber der Mensch wird selbst dorthin wollen. Die
kleinen Marsroboter waren sehr populär, aber wenn da einer von uns seinen Fuß in den Sand drückt, ist das was anderes. Experten sagen übrigens, die gesamte Marsforschung, die bisher über viele Jahre hinweg gemacht wurde, hätte von einem astronautischen Team in etwa drei bis vier Wochen durchgeführt werden können.

 

Klingt gut. Wann fliegen wir denn zum Mars?
Das ist immer auch eine wirtschaftliche Frage. Elon Musk, Jeff Bezos und andere sind dabei, die Raumfahrt im niederen Erdorbit zu kommerzialisieren und möglicherweise wird das in den USA zukünftig also den privaten Anbietern überlassen. Die Raumfahrtagenturen agieren dann bei der Forschung im niedrigen Erdorbit nur noch als Kunden und könnten so Mittel für die Exploration oder andere Pläne frei bekommen. So argumentiert auch die NASA. Möglich wäre auch, eine Marsmission vom Mond aus zu starten, angenommen wir hätten dort irgendwann Fuß gefasst. Dann könnte man von dort aus mit kleineren Raketen ins Sonnensystem fliegen. Das wäre energetisch und finanziell günstiger. In einem Zeitraum von 50 Jahren kann ich mir so was vorstellen. Ein Wendepunkt könnte auch sein, wenn wir auf einer künftigen Raumstation neue Werkstoffe und Materialien in größerem Maßstab produzieren, die wir auf der Erde nicht herstellen können.


Ein paar Jahrzehnte wird man auf die Marsmission also schon noch warten müssen?
Ich denke, vielleicht 10 bis 15 Jahre. Aber wir werden auf dem Weg zum Mond mehr und mehr lernen und sukzessive Erfolge auch Richtung Mars sehen.


Interview: Dominik Mayer

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